von M. Tabea Kraaz

In unserer Zeit, in der Literatur unterhaltsame Massenwaren ist, wurde das erzählte Märchen zu einer Randerscheinung degradiert.

Das ist die kalte, traurige Wahrheit über unsere Generation ohne Träume und über Menschen, die die Fähigkeit verloren haben Geschichtenerzähler ihres Lebens und ihrer Träume zu sein.

Verehrter Leser, fassen Sie dies nicht als Anklage auf, denn es ist nicht meine Absicht Ihnen etwas vorzuwerfen. Ich möchte niemandem etwas vorwerfen, ich möchte diesem Fantasietod nicht mit einer nüchternen Anklage begegnen, sondern mit einem erzählten Märchen, einer kleinen Traumgeschichte.

Terralaya war ein Kind voller Fantasie, Abenteuerlust und Frohsinn. Ihre blonden Haare strahlten so hell wie Gold und die beiden weißen, mächtigen Schwingen auf ihrem Rücken waren ihre treuen Begleiter.

Sie war mit dem Land geboren worden; zusammen mit dem Reich der Träume wurde auch sie ins Leben gesandt. Als kleines Kind streifte sie sorglos und munter durch seine schier unendlichen Weiten, durch seine lebendigen Wälder, über seine saftigen Wiesen. Denn alles erstrahlte in Leben und träumerischen Formen und Farben, denen im Reich der Fantasie natürlich keine Grenzen gesetzt waren. Terralaya und das Land lebten zusammen in friedlicher Gemeinschaft; der eine existierte durch den anderen und beide spürten die Glückseligkeit, die sie schufen.

Eines Tages erwachte sie aus nächtlichen Traumbildern und murmelte: „Federtränen sind die mächtigste Gabe, die ich besitze…” – Es war wie eine innere Erkenntnis, die sich durch den Schlaf bis ins Morgengrauen zu ihrer Stimme durchgekämpft hatte. Die Worte brannten sich in ihr Gedächtnis und nur zu oft rätselte sie darüber, was eine „Federträne” sein sollte. Außer dass sie das Wort sehr mochte, konnte sie nämlich rein gar nichts damit anfangen.

Als sie älter wurde, verblassten das Wort und die Erkenntnis darum in ihrem Gedächtnis. Gleichzeitig aber wurde ihr die Verantwortung, die sie gegenüber dem Reich hatte, klar.

Es waren ihre Träume, die in dem Land wuchsen und ihm Leben gaben. Aus ihrer Fantasie gediehen Pflanzen und wurden die Tiere geboren. Je stärker sie glaubte, desto kraftvoller war das geschaffene Leben. Und jene Träume, nach denen sie strebte, jene, die sie versuchte zu verwirklichen, schimmerten hinüber in die Realität. Denn solche haben Einfluss auf die tatsächliche und die träumerische Welt, schöpfen Energie aus beiden und werden umso prächtiger.

Terralaya hatte unglaubliche Freude daran ihr Land auf diese Weise, das heißt durch ihre Träume, wachsen zu sehen.

Mit der Zeit entwuchs sie dem Kindesalter und allmählich hatten sich andere Menschen um sie herum angesiedelt. Denn der Glanz ihres Traumreiches zog jene an, die das Leben traumlos zurückgelassen hatte. Sie fanden Zuflucht und Frieden in ihrem Reich, das jeden neuen Bewohner herzlich empfing.

Bald wurde Terralaya von ihrem Volk zur Königin gekrönt und herrschte fortan im Palast der Träume, der im Herzen ihres Landes erbaut worden war.

Sie war eine gerechte und weise Regentin, die sich mit unglaublicher Hingabe um ihr Reich und die Menschen darin kümmerte.

Aber die Zeit verging und Zeit kennt nichts so gut wie Veränderung, das wissen wir alle. Und jeder von uns weiß, was mit unseren Träumen geschieht, wenn wir älter werden. Richtig, sie sterben, weil sie unerfüllt oder enttäuscht wurden. Schließlich wurde auch Terralaya älter und ihre Träume fingen an zu zerbrechen.

Wegen ihrer Verbindung zum Land, begannen auch Tiere und Pflanzen zu sterben; doch das merkte sie zunächst gar nicht. Ihr fiel nur auf, wie ihre Schwingen Feder um Feder verblassten und davonflogen. Sie akzeptierte diese Veränderung, trauerte nicht um das Verlorengegangene. Ihr war nicht klar, dass mit jeder Feder auch ein Traum verblasste und starb.

Doch eines Tages sah sie die verdorrten Sträucher und die morschen Bäume, die toten oder leidenden Tiere. Es tat ihr in der Seele weh. Sie war so voller Kummer, dass sie eines Tages, als sie allein auf dem Balkon des obersten Turmes stand und seufzend auf ihr Land blickte, sprach: „Könnte ich die Träume nur wiederbekommen! Warum nur mussten sie sterben?”

„Ich weiß eine Lösung”, wisperte eine hinterhältige Stimme. Terralaya fuhr zusammen und drehte sich um. In dem Moment trat eine vermummte Gestalt zu ihr auf den Balkon, die zuvor im unsichtbar machenden Schatten der Vorhänge gestanden hatte.

„Gestatten, ich bin Sonerie, die Traumhexe.” Sie verneigte sich darauf hin übertrieben.

Königin Terralaya nickte nur; sie hatte von ihrem Gegenüber gehört. Dieses Wesen trieb sich an den Nebelgrenzen ihres Reiches herum; das hatten Kundschafter berichten können. Allerdings wusste niemand, wer oder was sie war – geschweige denn, was sie im Schilde führte. Darum war Terralaya vorsichtig.

„Ich kann Euch helfen, wirklich. Ich habe gesehen, wie euer Land stirbt. Es zergeht, bald wird nicht mehr als eine Wüste davon übrig bleiben. Darum bin ich hierher gekommen, um Euch zu helfen dies zu verhindern”, säuselte die Vermummte mit verlockendem Unterton.

Terralaya ließ sich davon zunächst nicht beeindrucken. „Was sollte Euch daran liegen dieses Reich retten zu wollen, Traumhexe?”

„Ich will ehrlich sein, ich hoffe Ihr schätzt Ehrlichkeit. Darum möchte ich Euch sogleich mein Angebot unterbreiten und ihr werdet verstehen.

Was ihr braucht, sind neue Träume. Schöne Träume. Bessere Träume. Ich verkaufe sie Euch. Ich habe Träume, deswegen bin ich die Traumhexe. Seht Ihr”, sie zog in einer geschickten Bewegung eine blühende Rose hervor, deren Blätter aus purem Regenbogenkristall bestanden. Ihr Glanz blendete Terralaya nahezu. Sie war fasziniert und erstaunt.

„Darf ich?”, fragte sie vorsichtig und streckte die Hand langsam wie in magischer Trance nach der Rose aus.

„Sicher”, ermutigte die Vermummente und wäre Terralaya nicht so in den Bann des Dargebotenen gezogen worden, hätte sie das unterdrückte, hämische Kichern Soneries gehört.

Terralaya nahm die Blume in die Hand und begutachtete sie.

„Seht Ihr, bessere Träume. Und aus hundert Prozent hochwertigen Träumen – mit Beigabe von ein paar nebensächlichen Zusatzstoffen, die aber nur die Qualität erhöhen! Damit wird Euer Leben garantiert glücklicher als vorher”, erklärte Sonerie viel versprechend.

„Garantie und Rückgaberecht verfallen nach einem Jahr oder bei zu langem Anfassen, Anschauen oder Daran Denken”, fügte sie beiläufig und leise nuschelnd hinzu. Außerdem sprach sie so schnell, dass Terralaya ohnehin kaum ein Wort verstanden hätte – selbst wenn sie ihr zugehört  hätte.

„Also, wie sieht’s aus? Nehmt Ihr an? Ich kann Euch für den Anfang einen Traum wöchentlich liefern – frei Haus! Ich kriege dafür nur pro Traum einen Quadratmeter von Eurem Land. Das ist ja nicht viel.”

Königin Terralaya nahm das Angebot zuversichtlich an. Voller Faszination pflanzte sie gleich nachdem Sonerie verschwunden war die Rose in den Palastgarten.

Sonerie hielt ihre Vereinbarung gemäß der Absprache, aber bald wollte Terralaya mehr Träume. Sie wollte ihr ganzes Land mit diesen wunderbaren, neuen Gewächsen bepflanzen und nicht nur ihren Palastgarten.

Eine große Vision entstand in ihrem Kopf, davon wie demnächst ihr Reich wohl aussehen könnte mit Soneries Hilfe. Daraus wuchs eine Gier nach immer mehr Träumen. Am Ende kam jeden Tag eine gigantische Menge von neuen Träumen. Terralaya musste zwar viel von ihrem Land dafür abgeben, aber das war es ihr wert.

Wäre sie weniger gierig und weniger verblendet gewesen, wäre ihr aufgefallen, dass Soneries Träume falsch und verdorben waren. Sie sahen nur schön aus, aber waren innerlich leer und besaßen nicht den Funken aus unbändiger, fantastischer Kraft, aus dem heraus ihre eigenen gediehen.

Darum war die erste Rose schon längst verdorrt und hatte kaum länger als ein halbes Jahr gestanden. Ja, die Träume wurden sogar immer kurzlebiger, aber bei der Masse von Neuen, fiel es gar nicht auf.

Das schlimmste aber war: Terralayas eigene Träume starben, denn aufgrund der Größe und der Macht der anderen, fanden sie keinen Nährboden mehr. Außerdem kümmerte sich Terralaya ohnehin nicht mehr um sie und sie mussten verwelken.

Als sie irgendwann mal wieder Freizeit hatte – denn ihre Vision nahm viel Zeit in Anspruch -, machte sie einen Spaziergang durch den Palastgarten. Vergeblich suchte sie Soneries Rose. Da fragte sie einen von ihr kurz nach dem Verlassen der Traumhexe eingestellten Gärtner danach.

„Weiß nicht. Verwelkt. Genau wie die anderen, die vorher da waren. Die einzigen Pflanzen, die hier stehen, sind aus der letzten Lieferung”, ein Schatten huschte über das Gesicht des Gärtners. „Dem Land geht’s schlecht. Das passiert überall, meine Königin. Tut mir leid, das sagen zu müssen.”

„Nein, das kann nicht sein! Du lügst!”, schrie Terralaya ungläubig auf. Trotzdem erfüllte sie zugleich das Gefühl, das man hatte, wenn eine Katastrophe, die sich schon die ganze Zeit schleichend angebahnt hatte, einem plötzlich in den Rücken fällt.

Entschlossen rannte sie durch den Palast, hinauf auf den höchsten Turm, auf den Balkon, wo sie so lange nicht gewesen war.

„Nein …”, murmelte Terralaya in erstickter Hilflosigkeit. Ihr Land starb; hier und da ragten nur voll Trug Soneries Träume auf. Alles andere war eine öde, verdorrte Landschaft, eine, die früher einmal mit Leben erfüllt war. Terralaya begann zu weinen.

Da wurde ihre Machtlosigkeit noch größer, denn sie sah, dass Sonerie ihr eigenes Schloss aufgebaut hatte und ihr Land schon ein Drittel des Reiches der Träume betrug. Dort, wo die Traumhexe sich ausgebreitet hatte, lebte gar nichts mehr. Eine schwarze Wüste erstreckte sich rund um den prachtvollen Palast, in den alle Kraft der gerodeten Träume rundherum geflossen war.

Terralaya stand über drei Stunden in luftiger Höhe und bedachte Soneries Reich mit erstarrten Tränen und hilflosen Schreien, die aus Kraftlosigkeit stumm blieben.

Doch allmählich wendete sie ihren Blick und sie schaute in einen anderen Teil ihrer Welt. Da sah sie ein zweites Land; genauso wie Soneries verschlang es ein Drittel dessen. Terralaya kannte es nicht; es musste über Nacht und ohne Vorwarnung entstanden sein.

Aber was sie dort sah, gab ihr Hoffnung. Fortschritt regierte dort. Hohe Wolkenkratzer bildeten reiche Städte und die Menschen dort lebten in Wohlstand. Da muss das Glück zu Hause sein, dachte Terralaya.

Sie schickte Kundschafter in dieses fremde Land und erfuhr bald, dass ein gewisser magicus logicus Nimonold dort herrschte. Ob dem Gedanken, dass es wenigstens in einem Teil ihres Reiches Glück geben musste, gab sie sich zufrieden. Sie stoppte die Einfuhr von Soneries Träumen und begann ihr eigenes Land allmählich wieder aufzubauen. Dieser Prozess war schwierig und hart und Terralaya wünschte es gäbe einen einfacheren Weg. „Wenn es nur irgendwie schneller und leichter ginge”, dachte sie.

Kaum waren die Worte durch ihren Kopf gegangen, schwanden die Wände ihres edlen Thronsaals hinfort und machten kaltem Glas platz. Künstliches Licht erhellte den weiten Raum im obersten Stockwerk eines der Wolkenkratzer. Terralaya schloss in einem solchen zu sein, da das stumme Glas Einblick hinunter auf Nimonolds Reich gab, das sie schnell wieder erkannte.

„Ahh, endlich sehen wir uns. Schön Sie endlich zu treffen, verehrte Terralaya”, sprach ein junger Mann mit Vertrauen erweckenden Zügen und einem genauso gewinnenden wie motivierten Lächeln. „Seid gegrüßt, magicus logicus Nimonold”, antwortete die Angesprochene mit ruhiger, gemessener Stimme, die gekonnt ihre Nervosität überspielte.

„Ich hoffe die Förmlichkeiten sind damit beendet. Was halten Sie von unserem Reich? Ich habe Sie schon vorher einladen wollen…  aber die Gelegenheit ergab sich nicht, aber ich glaube die Zeit ist reif, oder nicht? Und darum – nun, wie soll ich sagen – ergriff ich die Initiative und teleportierte Sie zu mir herüber. Auf ein kleines Gespräch. Also, was halten sie von unserem Reich?”

„Ich werde wohl über die Tatsache, dass ich diese Begegnung auch Entführung nennen könnte, hinwegsehen und Euer Reich als beeindruckend bezeichnen”, erklärte die Königin.

„Das ehrt mich sehr, Terralaya”, meinte er lächelnd. Dieser Frohsinn überraschte sie positiv und sie ließ sich davon anstecken und gab das Lächeln zurück.

„Wissen Sie, ich habe überlegt. Nun, nichts gegen Sie, aber ihr Land scheint… hmm, ihm scheint es nicht mehr so gut zu gehen. Wie wäre es, übernähme ich dort die Herrschaft? Ich würde Ihr Land genauso wohlhabend und fortschrittlich machen wie dieses.”

Terralaya fühlte sich überrumpelt von dem Angebot. Völlig überrascht, brauchte sie eine Weile Nimonolds Worte zu verarbeiten.

Hatte er das wirklich gesagt? Sie sollte ihr Land einfach so aufgeben? Jenes, mit dem sie geboren war, jenes, das sie liebte und jenes, das auch ihr Leben gab?

„Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich würde sie nicht entmächtigen. Sie würden als oberste Beraterin fungieren und zusammen würden wir das Land zu einem wunderbaren Ort machen!”, erklärte Nimonold begeistert. „Wäre das nicht am Besten?”

Terralaya zögerte immer noch. Sie wusste nicht, warum und das war das Schlimmste. Nimonolds Angebot erschien ihr verlockend und richtig und auf der anderen Seite grundlegend falsch. Aber vermutlich hatte er Recht, oder nicht? Es wäre das Beste. Außerdem könnte sie sich dann auch einmal zurücklehnen und hätte nicht  immer soviel Arbeit. Trotzdem war es falsch, schrie eine Stimme in ihr.

„Ich weiß nicht”, antwortete Terralaya in ihrer Zerrissenheit.

„Na, es zwingt Sie schließlich keiner! Aber denken sie über die Vorteile nach”, lockte Nimonold.

In genau dem Moment war Terralaya bereit ihr Land aufzugeben, es in die fortschrittliche, logische Herrschaft ihres Gegenübers zu legen. Sie war am Ende bereit aufzugeben; alles aufzugeben. Ein wahrhaft neues Reich zu schaffen, nicht nur so ein Trügerisches wie Sonerie es angeboten hatte.

„Ihr seid böse!”, rief plötzlich und vollkommen unerwartet eine Stimme aus Terralaya, die sie nicht als die ihre erkannte.

„Nein, das ist nicht wahr. Ich bin wirklich nicht böse und ich habe keine bösen Absichten. Oder ist Fortschritt eine? Glauben Sie das wirklich?” Nimonold sah sie eindringlich und ehrlich an.

Sie wusste, dass er Recht hatte. Eigentlich mit allem. Aber wiederum hatte er vollkommen Unrecht, das wusste sie auch. Innerlich schrie und kämpfte sie vor Zerrissenheit. Sie fühlte sich verführt und in die Enge getrieben und gleichzeitig wie kurz vor einer Erlösung, die sie nur aus Trotz nicht annahm. Was sollte sie nur tun?

Da kamen Erinnerungen in ihr hoch, wie ihr Reich früher gewesen war. Wie schön, wie lebendig es gestrahlt hatte. Dann sah sie aus dem Fenster in die graue, fortschrittliche Wüste. Und sie spürte, dass Nimonold zwar nicht böse war, aber auch nicht in ein Reich der Fantasie gehörte. Hier lebten Träume, nicht die Vernunft. Sollten nicht an diesem Ort auch die Träume herrschen?

Plötzlich wurde Terralaya von einer mächtigen Erinnerung erfasst, die Klarheit und Entschlossenheit brachte; es war jene Erkenntnis, die vor langer Zeit in ihrem Gedächtnis verblasst war, jene, an die sie sich jetzt erinnerte und mehr noch verstand, jene, die von den mysteriösen Federtränen erzählt hatte.

Terralayas Augen glühten auf und sie rannte los. Schneller und schneller auf die Fenster zu. Mit jedem Schritt ein wenig freier von Trug und Vernunft. Sie stürzte sich durch das Glas, die Splitter mit ihr fliegend wie ein Kristallregen. Sie schnitten in ihre Haut, aber die Wunden waren ohne Schmerz.

Terralaya fiel wie ein Stein hinab in die Betonwüste. Trotzdem prägte ihre Züge ein erleichterndes Lächeln. Als der Abgrund schon mit Aufprall drohte, wuchsen ihr plötzlich jene Schwingen, die sie einst verloren hatte.

Sie spannten sich über ihren Rücken, retteten sie und trugen sie hoch in die Luft. Kalte, befreiende Luft schlug ihr ins Gesicht. Terralaya landete nicht eher, bis sie ihr eigenes Land erreicht hatte und die Türme des Traumpalastes sie aus der Ferne begrüßten.

Voller Freude kam sie auf dem Boden auf, küsste ihn und kniete sich auf ihm nieder. „Ich will dich nie wieder verkaufen oder verleugnen”, versprach sie feierlich und vor Euphorie rannen ihr die Tränen von den Wangen, als wollten sie das Land rein waschen von alledem, was sie in der letzten Zeit von ihm entzweit hatte.

Sie schlang ihre Schwingen dicht um den Körper und bettete ihren Kopf in sie, sodass die Tränen freimütig die Federn bedeckten und sie benetzten. Als die siebte Träne die siebte Feder berührt hatte und sich zu der siebten Federträne zusammengeschlossen hatte, geschah ein Wunder.

Warum die Siebte, verehrter Leser? Nun, sieben ist eine magische Zahl und in einem Märchen unter allen Umständen zu berücksichtigen.

Und plötzlich war das Land wieder belebt. Überall wuchsen und sprossen die Pflanzen aus dem Boden, weiches Moos und saftiges Gras bedeckten die öde Landschaft und in der Ferne hörte Terralaya Vögel zwitschern.

Ihr Reich war zwar nicht ganz so prächtig wie früher und würde es wohl auch nie wieder sein und es hatte sich durch Nimonold und Sonerie sehr verkleinert. Aber es war wunderschön und das reichte ihr.

Es mochte nur noch ein oder zwei von den Träumen geben, die sie anstrebte und, die in die Realität reichten. Einige würden auch mit der Zeit sterben, das wusste sie.

Aber solange das Land lebte und sie mit ihm, war sie glücklich. Außerdem kamen ja auch immer wieder neue Träume auf und durchwucherten die Landschaft mit ihrem Leben und ihrer neuen Hoffnung.

Letzten Endes fand Terralaya so ihren Frieden mit sich selbst und die innere Ruhe, die nur jemand finden konnte, der für seine eigenen Träume lebte.

Und ach ja, wie es zu ihrem Wunder kam, welches das Land wiederbelebte? Ja, das ist einfach zu erklären. Denn wo Fantasie – und daraus bestanden ihre Schwingen – und Leben – schließlich sind die Tränen Ausdruck des Lebens – sich treffen, entsteht eine Wirklichkeit. Das war es, was die Federtränen zu Terralayas mächtigster Gabe machten.

Damit endet Terralayas Geschichte. Aber letztlich, schätze ich, ist jeder König über sein eigenes Traumreich und jeder hat seine eigenen Abenteuer und seine eigenen Geschichten darüber.


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