von Carina Kliemann

Eisig kalt berührte der Wind die zarte, blasse Haut auf der noch eben seine kräftige Hand ruhte. In Gedanken an den nahenden Abschied verging die Zeit so furchtbar schnell, dass sie die beiden jetzt einholte. Die Zeit war da. Der, der den Fluten entstiegen war, würde nun zurückkehren müssen in die schmerzende Kälte des Wassers, das so zart schimmerte im Morgengrauen. Des Nachts schwamm er herüber durch die Dunkelheit und schon des Morgens musste er zurückkehren nach Hause und die Geliebte zurücklassen an der steinernen Klippe, wo aus sie wartete, Nacht für Nacht, auf dass sie ihn am Horizont erblicken konnte. Sieben Nächte würde es dauern, bis sie ihn wiedersehen könnte… es waren immer diese schrecklichen sieben Nächte voller Sehnsucht, die sich hinzogen als wären es Wochen und nur diese einzige Nacht, die sie ihn in ihren Armen halten konnte, in inniger Liebe küssen und nicht mehr von sich lassen wollte, die innerhalb von Sekunden verging.

So schwamm er wieder davon und schon bald konnten die eisblauen Augen ihn nicht mehr fassen. Fast schien es, als hätte das Meer ihn verschluckt und würde ihn nimmermehr freigeben wollen. Doch sie würde warten, Nacht für Nacht, von der Einsamkeit zerfressen, die Haut vom starken Wind, der Sand und Kies aufwirbelte, gescholten; die Augen rot von den salzigen Spritzern des Wassers, die immer wieder ihren Weg hinauf der Klippe fanden, um sie zu strafen für ihre Sturheit unablässig zu warten auf die Wiederkehr ihres Geliebten.

„Mit keinem Leid der Welt sind die Freuden der Liebe aufzuwiegen”, flüsterte ihr Herz durch Wind und rauschende Fluten und ihre Lippen formten ebendiese Worte ohne dass sie einen einzigen Laut von sich gab, in all der Zeit nicht. Die Worte waren es nicht wert, verschwendet zu werden an Wind und Wasser. Nur für eine einzige Person waren sie da, nur für ihn, ihn, der in sieben Nächten wieder dem nassen Dunkel entsteigen würde und wieder ihr sein wird, sei es auch nur für eine Nacht.

So verging die erste Nacht...                 „Geliebter, siehst du mich?

und eine zweite....                            So warte ich auf dich,

und die dritte...                              werd' Wind und Wetter nicht weichen.

die vierte kam...                              Hör nur mein Lied dich rufen,

und die fünfte...                              sieh' meine Fackel lodern,

die sechste grausame Nacht kam...              sie wird den Weg dir leiten."

Mit einem schnellen Zug entzündete sie die Fackel, die ihm den Weg leuchten würde. Hoffnungsvoll blickten die Augen ins Dunkel hinaus, der sanfte Schimmer des Feuers, der sich auf dem Wasser spiegelte, erhellte der zarten Gestalt die Sicht. Sekunden vergingen, Minuten, Stunden… lange würde es nicht dauern. Bald ist er hier. Bald hält sie ihn wieder in ihren Armen. Bald würde die Sehnsucht ein Ende finden. Müde wurden die vor Hoffnung schimmernden Augen. Des Geliebten Stimme war schon so nah. Sie konnte sie schon hören, tief in ihrem Inneren. Ein Traum formte sich aus den wohligen Klängen, die sie erfüllten.

„Die Sehnsucht stirbt an der Schwelle zur Erfüllung”, säuselte der Wind um sie herum. Die Augen öffneten sich. Sie zuckte zusammen, wurde geblendet vom grellen Sonnenlicht. Suchende Blicke erforschten die Klippe. „Wo bist du? Wo bist du denn nur?”, war die helle Stimme der Schönheit zu hören, deren Worte ein jedes klang wie ein Lied, das soeben danach verlangte angestimmt zu werden, dessen Wunsch aber doch nicht erfüllt werden sollte.

Das Feuer war erloschen.

Sein Weg trieb ihn in die Dunkelheit.

Der Wind hatte die Fackel zum Erlöschen gebracht.

Das Wasser hatte ihn unter den schlagenden Wellen begraben.

„Du brachtest ihm den Tod! Dein Schlaf trieb ihn in die Verderbnis!”, rauschten die Wellen ihr wütend zu und der Trauer ergeben schien die erloschene Fackel, die so einsam aus den Steinen empor ragte, den Vorwürfen von Wind und Wasser zuzustimmen.

„Wir bleiben stark”, sprach das Herz zu ihr und die Lippen formten diese Worte, ohne auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben als sie wehenden Gewandes, ohne auch nur eine einzige Träne der Trauer zu vergießen, doch mit dem Lächeln der Freude auf den Lippen, die Klippe hinab in das eisige Wasser stürzte.

„Geliebter, siehst du mich?

So folge ich dir,

werde den Tod ertragen

und das Leben nicht missen.

Sieh meine Seele leuchten,

sie wird den Weg dir leiten.

Für eine Liebe in Ewigkeit."

Und so war die Liebe Schuld an ihrem Tod, die unbedingte, wunderschöne, grausame Liebe. Die schöne Seele ging in den Tod – nur weil ein Mann sich anders entschieden hatte…


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