von Arno Lampe

„Wo sind eigentlich die sechs anderen?”, fragte Ute ihren Mann.

„Welche sechs anderen?”, fragte Lothar zurück.

„Na, die sechs anderen Krawatten, die du bei ebay ersteigert hast?”

„Krawatten, bei ebay ersteigert? Wie kommst du darauf?”

„Du hast mir doch vor einer Woche erzählt, dass du insgesamt sieben Krawatten bei ebay ersteigert hast und dass die supergünstig waren.”

Lothar stutzte ein paar Sekunden, denn er wusste wirklich nicht, wovon seine Ute sprach. Dann fiel ihm doch noch ein, wovon er ihr letztens berichtet hatte.

„Ich habe dir gesagt, dass ich noch sieben Grasmatten bei Firma Sieben bestellen muss, weil ich für unser Freundschaftsspiel gegen Schalke 07 am siebten Juli den Stadionrasen noch an einigen Stellen ausbessern muss.”

„Und du hast gar keine Krawatten ersteigert?”, insistierte Ute auf dem alten Thema.

„Nein, keine einzige.” Lothar fing das Krawattenthema an zu nerven. „Kannst du mir bitte erzählen, wann ich Krawatten tragen soll? Vielleicht zum karierten Holzfällerhemd bei der Gartenarbeit? Oder wenn ich abends im Büro sitze und meine Belege zusammenstelle?”

Ute ließ sich von diesen praktischen Argumenten nicht beeindrucken.

„Man trägt Krawatte heute auch zum karierten Hemd. Das habe ich gestern noch bei einer Modenschau auf Pro Sieben gesehen. Außerdem könnten wir mal wieder ausgehen. Und dann könntest du Krawatte tragen.”

So kannte Lothar seine Ute nicht. Sie war, genau wie er selbst, bei der kleinen  Gartenbaufirma angestellt und kleidete sich zweckmäßig und leger. Sie hatte in ihrem Kleiderschrank keine feinen Blusen auf dem Bügel hängen und elegante Kostüme hätte man dort auch vergebens gesucht. Stattdessen trug sie strapazierfähige Jeanshosen und bunte  Baumwoll-Sweatshirts, in denen sie manchmal etwas unförmig wirkte. Warum sollte sie plötzlich Wert darauf legen, dass er sich formell kleidete? Und dann auch noch mit Krawatte! Er besaß zwar einige schlichte Binder, die er sich anlegte, wenn in der Verwandtschaft eine Hochzeit anstand oder der Chef einen Empfang zu seinem Geburtstag gab, so wie es heute gerade vorgekommen war, aber Lothar war immer froh, wenn er sie möglichst bald wieder ablegen konnte.

„Wir sind jetzt fast sieben Jahre verheiratet und waren noch kein einziges Mal für länger als eine Woche im Urlaub”, fing Ute wieder an. „Ich will nicht immer nur Kurzurlaub machen, auf einer der sieben ostfriesischen Inseln oder im Siebengebirge. Können wir nicht mal im Ausland unsere Ferien verbringen?”

Das war es also, das verflixte siebte Jahr. Daran hatte Lothar noch überhaupt nicht gedacht. Er fing an zu kapieren, worauf Ute hinaus wollte. Aber was sollte er machen? Von den kargen Löhnen, die Ute und er verdienten, konnten sie keine großen Rücklagen für teure Urlaube  bilden. Selbst wenn es im Mittelmeer auch sieben schöne Inseln gab, Mallorca und die sechs anderen eben, so erschien es ihm doch unerreichbar zu sein, dort in absehbarer Zeit ein paar freie Tage verbringen zu können. Außerdem hatten sie einen kleinen Sohn, für den die Ferien an der Nordseeküste geradezu ideal waren. Abgesehen davon, dass sie nicht weit vom Meer entfernt wohnten und die Anfahrt zum Urlaubsort nur wenig Zeit in Anspruch nahm, konnte Septus jeden Tag viele Stunden am Strand verbringen und seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Er mochte für sein Leben gern Sand sieben.

Das alles waren wichtige Gründe für Lothar, die er sich schon oft vor Augen geführt hatte. Andererseits aber wollte er in ihrem siebten Ehejahr natürlich seine Ute nicht verlieren und wenn sie, die sonst auch schon mal mit einem Urlaub auf dem sieben Quadratmeter großen Balkon zufrieden war, diese für ihn ungewöhnlichen Wünsche äußerte, so musste er dies ernst nehmen.

„Wie wär’s denn, wenn wir dieses Jahr in einem der sieben Benelux-Staaten Urlaub machen würden?”, schlug Lothar vor. „Lass uns doch gleich nächste Woche nach dem Freundschaftsspiel unsere Siebensachen packen und dann mal so richtig lange ausspannen. Wir haben doch beide noch den gesamten Jahresurlaub zu nehmen und im Geschäft ist jetzt Flaute. Was hältst du davon?”

„Ich würde mich freuen” antwortete Ute. „Dann fahren wir endlich mal ins Ausland. Wie lange brauchen wir denn mit dem Auto bis Benelux? Sieben Stunden?”

„Mit unserem Siebenzylinder sind wir sicher schneller da. Wenn wir morgens früh genug losfahren, können wir das Mittagessen bestimmt schon am Strand einnehmen.”

Es war also beschlossene Sache, dass sie diesmal nicht an die deutsche Nordseeküste fahren würden, sondern an den wahrscheinlich etwas teureren Benelux-Strand. Lothar war ein wenig  unwohl bei dem Gedanken, denn ihre Ersparnisse hätten gerade für ein paar Tage in einer preiswerten Pension in Ostfriesland gereicht. Nun musste er überlegen, wo sie sonst noch sparen konnten, damit sie sich den geplanten Urlaub auch leisten konnten. Die gute Laune, mit der Ute von dem Moment ihres Entschlusses an durch den Tag ging, riss ihn allerdings schon bald aus seinen Grübeleien heraus und so vergingen die letzten Tage bis zum Ferienbeginn in großer Harmonie. Es war ihr auch wieder wichtig, Lothar auf das aufmerksam zu machen, was sie unter ihren weiten Sweatshirts trug. Es kamen, nicht nur im wörtlichen Sinne, Dinge zu Tage, die Lothar einmal sehr wichtig gewesen waren, aber in der alltäglichen Routine ihres bisherigen Ehelebens verloren gegangen waren.

„Welche Dessous soll ich denn heute Abend anziehen?”, fragte sie ihn im Urlaub gleich am ersten Abend, nachdem ihr Sohn eingeschlafen war.

„Du weißt doch, ich finde die transparenten, roten besonders heiß. Wenn du mich verführen möchtest, gelingt dir das in denen garantiert.”

„Keine Frage, Liebling, ich habe es immer geschafft, dich zu verführen, wenn ich das wollte. Jetzt aber möchte ich, dass wir uns steigern: Die rote Garnitur war Nummer sieben. Heute ziehe ich Nummer acht an, lass dich einfach überraschen.”

Das ist allerdings eine ganz neue Geschichte.


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