Kategorisierungen sind in der Wissenschaft an der Tagesordnung. In der Literaturwissenschaft gibt es durchaus so etwas wie einen Begriff für das, was eine Kurzgeschichte sein soll. Man wird die Form in den Blick nehmen, aber auch den Inhalt, man wird für gewöhnlich den Umfang nicht ausufern lassen, weil man sonst zu sehr mit anderen Typen von Erzählungen, beispielsweise der Novelle aneinander gerät. Wie überhaupt man Bedeutung generiert, so kann man auch in diesem Fall vorgehen und aufzählen, was eine Kurzgeschichte alles nicht ist.

Was uns jedoch wichtiger ist als eine normative Kategorie aus einem Lehrbuch, ist das Selbstverständnis der Autoren und Autorinnen, die sich an unserem Wettbewerb beteiligen. Gerne möchten wir alle dazu aufrufen, via Kommentar ihre eigene Meinung abzugeben, was denn in ihren Augen eine Kurzgeschichte ausmacht. Es ist durchaus nicht unwichtig, sich darüber klar zu werden, aber es kann auch interessant werden, wenn man merkt, welche Unterschiede man entdeckt, obwohl man eigentlich glaubt, eine gemeinsame Vorstellung zu haben. Wir sind gespannt.


  1. Robin Haseler

    Neben normativen Regeln, die eine Kurzgeschichte einordnen sollen, spielen für mich persönlich auch inhaltliche Punkte eine Rolle.

    In einem Artikel “Überlegungen zur Novelle” hat David Pringle (pandora #1, S.38) eine Einordnung verfasst, die natürlich ebenso subjektiv ist, wie jeder Lehrbucheintrag. Dennoch fand ich die Einteilung (weil sie auch auf amerikanische Ansichten eingeht) recht interessant.

    Weniger als 10.000 Zeichen sind demnach Kruzgeschichten. 10.000-20.000 Zeichen eine Novelette und 20.000-50.000 eine Novelle.

    Aber der Autor sagt selbst, das dies alle graue Theorie ist. So sehe ich das auch. Meine Kurzgeschichte: ‘Die sieben Zwerge von G47 und das Spiel der Könige’ hat etwa 36.000 Zeichen. Das sind 13 DIN-A4 Seiten in TimesNewRoman, Schrift 12.
    So eine “lange” Kurzgeschichte habe ich noch nie geschrieben. Und dennoch ist sie für mich eine Kurzgeschichte, weil das Tempo der Story hoch ist. Viele Dinge nur flüchtig angesprochen werden. Eigentlich lebt die Geschichte auch von dem “Wir müssen schnell noch dahin”-Motto und “Wie absurd”-Gedanken. Dabei kommt es nicht auf tiefschürfende Charaktere an. Es gibt nur ein Hintergrundmotto, eine kleine Botschaft im Hintergrund. Aber die verrat ich jetzt mal nicht 🙂

    Meine Kurzgeschichten haben ansonsten eher den Umfang von fünf Seiten, würde ich schätzen. Ich war am Ende über die oben genannte Geschichte selbst überrascht. Sowohl in Sachen Länge, als auch Inhalt 🙂

  2. Andreas Pischner

    Ähem, Robin, da hast Du jetzt aber Zeichen und Wörter verwechselt!

    10000 Zeichen, das ist gar nichts, das sind knapp 2000 Wörter. So etwas schreibe ich gelegentlich bereits als Kommentar unter einen Text…

    Deine Geschichte fällt nach dieser Einordung also auch immer noch deutlich in die Kategorie “Kurzgeschichte”.

    Pringles Kategorisierung hat jetzt aber rein gar nichts mit Inhalt oder Form zu tun und ist lediglich aus Sicht eines Verlegers interessant. Er definiert eigentlich keine “Kurzgeschichte”, sondern eine “kurze Geschichte”, nichts weiter.

    Literarische Begriffsbestimmungen heben in der Regel auf Aspekte wie die Einheit von Zeit, Ort und Handlung, einen unmittelbaren Einstieg, wenige handelnde Figuren, einen Wendepunkt in der Handlung, ein offenes Ende sowie das Prinzip des “Show, Don’t Tell” ab.

    Solchen Kategorisierungen zufolge sind die wenigsten hier eingesandten Texte Kurzgeschichten. Wen juckt’s!

    Ich denke, literarische Formen sind dann ein sinnvolles Werkzeug, wenn man sie benutzt, um bestehende Texte zu beschreiben. Wenn man umgekehrt von Autoren verlangt, ihre Texte in eine bestimmte literarische Form zu zwängen, ist das Unfug – als Übungsmittel in Schreibseminaren mag das ja noch einen Sinn haben, aber letztlich ist die Aufgabe der Literaturwissenschaft einzuordnen, was an Literatur produziert wird, und nicht vorzugeben, was produziert werden soll.

    Deswegen fasse ich jede Aufforderung, eine “Kurzgeschichte” zu schreiben, als Aufforderung, eine “kurze Geschichte” zu schreiben auf und damit basta! Eine Zeichen-, Wörter- oder Seitenzahlvorgabe wird ja in der Regel gemacht.

  3. Robin Haseler

    Ja, tatsächlich – ich meinte Wörte und hab mich in nächtlichem Übermut dann auch noch die Zeichen aus meiner Kurzgeschichte statt den Wörtern ausgelesen (sind 6800). Ich sag mal ‘ARG!’.
    Typischer Kommentar-Fehler.

    Danke für den Hinweis. Ansonsten sind deine Anmerkungen richtig.

  4. Axel Baumgart

    Ich muss nochmal bei Euch nachfragen, was die Länge angeht:

    Es gibt eine ganze Reihe von Auschreibungen für Kurzgeschichten, die den Umfang dessen, was eingereicht werden darf, auf 10 / 15 oder maximal 20 Normseiten beschränken (Zur Zeit laufende oder vor kurzem beendete Ausschreibungen für Märchen, Kurzkrimis oder Fantasy). Da eine Normseite aber maximal 1.800 Zeichen (inclusive Leerzeichen) haben kann (30 Zeilen mit 60 Zeichen), in der Realität aber eher zwischen 1.200 und 1.300 Zeichen hat (Absätze etc.), ist der aufgeführte Umfang von 10.000 bis 20.000, vielleicht 25.000 Zeichen doch recht gut getroffen. Mit 350.000 bis 400.000 Zeichen liegt man ja schon an der Grenze zu einem Roman.

    Um die 60.000 – 80.000 Zeichen sind in etwa der Umfang der Arzt- und Westernheftchen vom Bahnhof oder vom Kiosk (Ich rede hier nur vom Umfang :-), nicht vom Inhalt oder der Qualität). Und das ist doch deutlich mehr, als ich unter einer Kurzgeschichte verstehe.

  5. Alexander Trust

    Sind mit “euch” auch die Juroren gemeint? 😉 – Also bei mir war es so, dass ich sogar ein Kolloquium – Literarische Praxis: Kurzgeschichte besucht hatte, in dem ich damals eine Kurzgeschichte abfertigte (Heinz’ Tagwerk). Es war eine Übung, und, wie ich heute finde, ist das Resultat mittelprächtig.

    Die Ursprünge des Genres werden in USA verortet, so wie es eine Referentin damals vortrug. Vom Umfang her – und wir haben uns in jenem Semester einige Kurzgeschichten durchgelesen, gab es durchaus welche, die auf 30, 40 Seiten kamen. In der Regel sind das jedoch Ausnahmeerscheinungen. Es gab sogar noch umfangreichere Geschichten, die von den Autoren selbst so kategorisiert worden sind. Die Novelle ist, je nachdem, fast schon ein historisches Genre geworden. Zeitgenössische Autoren hierzulande nennen ihre “kurzen” oder längeren Geschichten dann eher selten Novellen. Sagen wir, es ist derzeit nicht in Mode; bei den Franzosen schaut das durchaus anders aus. Doch können die meisten Literaten solche Unterscheidungen ja frei treffen. Man schaue sich manches Mal die Untertitel auch von Dramen oder dergleichen mehr an, die die unterschiedlichsten Genrebezeichnungen beinhalten, obgleich vor der Hand mit anderen Werken eine große Übereinstimmung herrscht.

    Wer in der Lage ist, selbst darüber zu reflektieren, hat schon eine Menge gewonnen, weil er ein gewisses literarisches Selbstbewusstsein entwickelt hat. Es ist wichtig, sich in Diskussionen auch einen eigenen Standpunkt zu erlauben. Manches Mal wird man vielleicht von normativen Zeitgenossen dann als eher arrogant empfunden, doch Arroganz ist ein durchaus nur subjektives Werturteil, so wie Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Wichtig ist, so finde ich, dass man eine Meinung dazu hat. Sich an Vorgaben zu orientieren sollte keine Zwangsjacke werden. Sich “bewusst” (und begründend) über manche Vorgaben hinwegzusetzen ist im Sinne des Schaffens von Literatur in meinen Augen nur zu begrüßen. Neues entsteht nicht, indem Altes nur wiedergekaut wird.

    Es bietet sich natürlich an, im Rahmen einer Anthologie eine Begrenzung anzugeben. Einfach, weil möglichst viele Beiträge eine Chance bekommen sollen, veröffentlicht zu werden. So eine Anthologie ist wenig reizvoll, wenn sich darin am Ende vielleicht nur 5 Geschichten a 40 Seiten finden würden. Begründen lässt sich vieles. Uns liegt es aber auch daran, Möglichkeiten zu eröffnen. Es ist spannend, mitzuerleben, wie andere sich mit Literatur identifizieren, bzw. wie sie sich ihr eigenes Schreiben vorstellen. Und wenn man darüber noch ans Diskutieren kommt, kann das wieder anderen auch helfen, sich zu emanzipieren. Regeln sind wichtig, aber gerade diejenigen, die die Regeln auch gut kennen, sind in der Lage, sie gewinnbringend zu übertreten, wenn es nötig scheint. In der Literatur tut dies keinem weh, und man muss keine Angst haben vor Strafen.

  6. Marilena B.

    Ich denke, Geschichten kann man ganz unterschiedlich einordnen.
    Da ich noch Schülerin bin und nach den Ferien erst die zehnte Klasse besuchen werde, habe ich nicht sehr viel Zeit um zu schreiben, da ich zuhause oft noch stundenlang für die Schule arbeiten muss. Deshalb schreibe ich eher Kurzgeschichten. Diese Kurzgeschichten haben jedoch stets einen Umfang von zehn bis achtzehn DIN A4 Seiten (Times New Roman, Schriftgröße 12). Für mich haben Kurzgeschichten einen straffen Handlungsverlauf, der kaum wiederholt und sich nicht stundenlang mit einem Thema aufhält. Auf Ausschmückungen wird weitgehend verzichtet, obwohl sie durchaus detailliert sein kann. Es muss nicht unbedingt nach dem “Wir müssen schnell noch dahin”-Motto laufen, sondern es kann auch sein, dass sich die ganze Handlung an einem Ort abspielt.
    Zum Thema Novelle kann ich nur sagen, dass sie in Lehrbüchern oft als “kleine Schwester des Dramas” gehandelt wird. Sie hat wie die Kurzgeschichte einen straffen Handlungsverlauf, läuft jedoch auf einen gezielten Höhepunkt hinaus. Nicht selten gibt es überraschende Wendungen. Tatsächlich ist die Novelle heute nicht mehr sehr weit verbreitet, denn als wir das Thema im Unterricht behandelten, war sie für uns alle neu und nach Abschluss des Themas hieß es für die meisten: “Aus den Augen aus dem Sinn”, da sie einfach nicht gegenwärtig war. Mich würde es sogar nicht wundern, wenn man meine Mitschüler in wenigen Wochen danach fragen würde und sie sich an nichts mehr erinnern würden.
    MfG, Marilena B.

  7. Janina B.

    Für mich ist eine Kurzgeschichte nicht das selbe wie eine “kurze Geschichte”. Für letztere halte ich den Ausdruck “One-Shot” eher angebracht, als die Bezeichnung “Kurzgeschichte”.
    Eine Kurzgeschichte erwartet man sicherlich nicht in der Länge von über 10 Seite (ich zumindest nicht) aber durch die Länge allein lässt sich eine Kurzgeschichte für mich wirklich nicht definieren.
    Wie schon von anderen gesagt, macht das “Tempo” der Geschichte die Musik, wobei ich allerdings nicht finde, dass die Geschichte nur in einem bestimmten Moment spielen muss – Viel eher muss die Handlung kurz und knapp daher kommen, ohne Umgebungsbeschreibungen und für mich persönlich vor allem ohne Aussehen von Charakteren. Ein schneller Einstieg, ein (relativ) offenes Ende.
    Vor allem die Aussage ist für mich bei einer Kurzgeschichte wichtig. Ein daherplätschernder Text, der nur der puren Unterhaltung dient, ist für mich wieder eine kurze Geschichte und keine Kurzgeschichte, zumindest im klassischen Sinne.
    Dennoch scheint genau DIESER Aspekt in der heutigen Zeit unbeliebt zu sein: Der Leser lässt sich nicht mehr gern belehren und er hat auch keine Lust sich in soweit mit der Geschichte auseinanderzusetzen, dass er ihre Aussage versteht. Er liest sie, entdeckt die Aussage nicht auf Anhieb, wirft das Papier in die Ecke und sagt: Was sollte denn der Mist jetzt bitte? Macht ja voll keinen Sinn!
    Und ich habe es auch schon oft bei Ausschreibungen erlebt, dass ein solcher “Lerneffekt” oder auch nur eine Aussage unerwünscht war-

  8. Robin Haseler

    Und was machen wir eigentlich mit Kurzgeschichten ala Howard (Conan der Barbar) oder Lovecraft :)?
    Kurz sind sie nicht, das Tempo ist aus einer anderen Zeit (hehe) und überhaupt….

    Nur weil ich gerade von beiden Autoren Kurzgeschichten lese und mir überlegt habe wie das wohl passt. 😉

  9. Janina B.

    Leider kenne ich beide Autoren nicht – aber ich kann dir wohl glauben, was du über sie sagst *gg*
    Vermutlich ist eine Deffinition der Kurzgeschichte – zumindest eine allgemein gültige und nicht nur auf sich selbst als Person zutreffende – einfach nicht möglich.
    Einst sagte meine ehemalige Deutschlehrerin: “Ein Gedicht ist erst dann und namentlich nur bis dahin ein Gedicht, wenn der Autor es als solches deffiniert.”
    Vielleicht trifft das auch auf Kurzgeschichten zu. Vor allem, da schon allein das Wort “kurz” sehr relativ ist…

  10. Robin Haseler

    Also Lovecraft (http://de.wikipedia.org/wiki/Lovecraft) solltest du mal reingelesen haben. Nicht jedermans Geschmack, aber wer Kurzgeschichten schreibt, kommt um den Herrn eigentlich kaum herum.
    (Es sei denn, man schreibt NUR realistische Kurzgeschichten…)

  11. Gudrun Sperzel-Völk

    Stichwort “Schnell noch dahin” – das ist auch meine Meinung. Es bezieht sich ja auf die symbolische Reise, auf die man sich begibt, wenn man eine Geschichte erzählt. Wenn man sich große Romane wie “Die Buddenbrooks” ansieht, dann wird dieser symbolische Charakter deutlich, bei typischen Hollywoodfilmen liegt die tatsächliche Reise schon viel näher. Ob “Rainman”, “Verrückt nach Mary”, und von mir aus “Shrek”, die Reise irgendwohin ist wichtig für den Spannungsbogen, für das Sichtbarmachen einer Entwicklung. Und eine Kurzgeschichte ist dann eben ein “Schnell noch dahin”. Ob hier einer von A nach B geht, oder etwas passiert, das eine Veränderung in mir als Leser hervorruft, ist demnach egal. Alle anderen Definitionen finde ich “typisch deutsch”, und frei nach dem Motto “Regeln sind da um gebrochen zu werden” wünsche ich mir für mich, dass ich authentisch bleibe, das allein zählt. Oder nicht?

  12. Jamie

    Ich für meinen Teil finde, dass eine Kurzgeschichte bestimmt tausend Definitionen erlangt hat – denn wer berechtigt sich genau festzulegen wann ein geschriebenes Werk als eine Kurzgeschichte gelten kann und wann sie es nicht erfüllt?
    Ist es nicht so, dass der Schreiber selbst seine ganze Kreativität in die Sache hineinverschwendet und eigentlich am besten wissen müsste, was denn seine Geschichte nun ist, oder ob es überhaupt von Nöten ist sie zu definieren? Definieren sich die Geschichten denn nicht von selbst? Und wer möchte schon, dass seine Werke einkategorisiert werden und zu etwas gemacht oder gehalten werden was sie unter Umständen gar nicht sind?
    Klar kann man grob sagen, “das ist eine Kurgeschichte” und “das ein Roman”. Aber sich den Kopf über Richtlinien zu zerbrechen, behindert doch eher die Kreativität des Schreibens, wenn man sich nicht nur dorthinein finden muss, sondern auch noch dem Zwang untersteht, dass es “Grenzen” gibt.
    Für mich ist eine Kurzgeschichte dann eine Kurzgeschichte, wenn ich – die Autorin – ihr diesen Titel anerkenne, aus meinem eigenem Wissen und Gewissen.