von Sigrid Gross

„Wir hoffen auf Frieden… irgendwo in der Welt. Aber beginnen wir auch in unserem Umfeld, für Frieden zu sorgen, der menschliche Würde berücksichtigt, ja voraussetzt. Und Abhilfe aus Armut schafft, damit Versöhnung geschieht?” Das fragte mich vor Jahren die deutsche Schwester Maria: Aufrecht, stark, Kämpferin für ein lohnenswertes Leben in einer Welt der Misere. In Kairo.

Viel bin ich gereist. Habe Bürgerkriegsregionen besucht, habe mich der Gefahr der Auseinandersetzung ausgesetzt. Auch bin ich der Armut in den Ländern meiner Neugierde nachgegangen. Wo sie vorherrscht, gibt es selten Friedvolles und Verständigung. Im Nahen-Osten, geprägt von Kampf, Missachtung der Frauen und Zukunftslosigkeit,  habe ich ein bewegendes Gedicht gehört:

 Wenn sich die Not der Frauen in Nichts auflöst,

wenn ihr Klagen aufhört und Tränen  versiegen,

wenn sie sich ehrlich versöhnen,

wird Frieden wie Perlen aus Muscheln herausfallen,

um dir, Freundin,  kostbare Ruhe zu schenken.

 
Maria, die Deutsche am Nil, zählt zu den Menschen, die mit sanfter Unbeugsamkeit  die Not lindern. Ich nenne Maria ´eine Frau des Friedens´! Sie hat sich jahrzehntelang dafür eingesetzt, dass sich Tränen in Perlen auch in Müllvierteln verwandeln können. Bewunderungswürdig und  durchsetzungsfähig ist sie: Die vor fast vier Jahrzehnten begann, den Zabalins (meist Christen) zu helfen, die vom Müllsortieren und Müllverkauf  leben. Und die nicht gegen ihr Schicksal aufbegehren. Vor allem nicht die Frauen und Mädchen: in der von Männern und dem Islam geprägten Welt.

Tausende von Müllsammlern sind immer noch umgeben vom beißenden Gestank aus Fäulnis und Verwesung, vermischt mit dem schwarzen Rauch verbrannten Mülls. Das war auch mein Eindruck vom Viertel Moytamadea, wo Schwester Maria Selbsthilfeprojekte aufgebaut hat, die immer weiter Kreise ziehen. Natürlich soweit Spenden (erst recht aus Deutschland) verschiedenste Projekte (im Rahmen des Hilfsfonds Schwester Maria – Kairo e.V.) ermöglichen.

„Mein Ziel war es”, erklärte mir  Schwester Maria, „dass vor allem Frauen ihre Armut, ihren Analphabetismus und ihr Misstrauen überwinden können.”

Sie wollte von Anfang an, dass sie Hilfe zur Selbsthilfe erfahren. Ganz unten, also auch im Elend der Zabalins, hätte sie angefangen…

Maria, ehemalige Schneiderin, pragmatisch und klug vorgehend, hatte zunächst mit  Näh- und Alphabetisierungsstunden für Frauen und Mädchen an verschiedenen Orten in Ägypten begonnen.

„Aber ich habe oft Geduld mit ihnen haben müssen.”

Das sagte sie mir lächelnd, mir damals fragil erscheinend, so dass ich ihr am liebsten über das weiße Haar gestrichen hätte.  Diese kleine Frau mit klarem Blick, mit einfacher, kraftvoller Sprache ist vertrauenswürdig im Moloch Kairo. Sie ließ und lässt sogar einflussreiche Männer in ihrem Sinne – immer zum Wohle der Armen und der Zabalins – agieren.

Geschafft hat sie es, bei den Müll sortierenden Frauen  großartige Fähigkeiten im Nähen und Sticken zu entwickeln, so dass sie ihre Produkte verkaufen, somit Selbstwert und Anerkennung in ihrer Gesellschaft gewinnen können. Blinde Frauen haben es geschafft, gute Masseurinnen zu werden.

Mit den Menschen im grauen, stinkenden Viertel von Moytamadea hatte sie Holzbaracken erstellt.

„Damals der erste Schritt zum menschlichen Wohnen”, wie sie mir erzählte. Daraus entwickelten sich später Steinhäuser, verschiedene Werkstätten, eine Krankenstation, eine Schule und ein Kindergarten.

Ihr ging es darum, die Würde der Menschen auf eine gehobene Ebene zu bringen. Die Selbstachtung – speziell unter den Frauen – zu fördern, ihnen Chancen zu bieten, die sie niemals in ihrer Außenseiterrolle hätten.

„Chancen”, sagte sie, „haben auch unsere Kinder, die in der schon im Jahr 1988 im Müllviertel erstellten Schule lernen.”

Über die Lehranstalt, die immer wieder erweitert werden kann, war Maria besonders froh: Als sie darauf einging, strahlte ihr faltenreiches Gesicht, mit einem kindhaften Lächeln… Sie meinte, auf das Schulprojekt eingehend: „Das ist das schönste Geschenk, in die leuchtenden Augen der Mädchen und Jungen zu schauen!”

Maria ist eine Visionärin, die ohne Gefühlsduselei wirkt. Ich fuhr mit ihr zu ´ihrem´ Gesundheitszentrum bei Ras Sudr – auf dem Sinai, direkt am Roten Meer. Sie hat es nach zähen Kämpfen erstellen können: Ein Zentrum, das zur Erholung der Familien aus dem Müllviertel dient.  Ich sah sie dort aufs Meer blicken: Sie kam mir entrückt vor – vorausschauend, das Große, das Weite erkennend.

„Der Sinai ist ein Geschenk Gottes für uns…!”

Nein, sie und ihre Mitwirkenden haben sicherlich nicht all das erreicht, was sie sich vorgestellt haben.

Die Armut in und um Kairo zieht immer größere Kreise. Aber Schwester Maria weiß sehr wohl, Dämme der Hilfe gegen die Flut der Misere zu aufbauen, indem sie Menschen gewinnt, die ihr bei der Ausgestaltung ihrer Vision helfen.

Die Schwester mit dem großen Herzen, einer starken Ausstrahlung und mit festem Glauben an Gott und seine Möglichkeiten ist aus meiner Sicht eine Friedensfrau, eine Wegweiserin für friedvolles Miteinander unter schwierigen Voraussetzungen… für ein Miteinander von Christen und Moslems. Ich sage: Ein lobenswerter Schritt in die richtige Richtung. Trotz mancher Gegenstrebungen…

„Teile den Segen deines Lebens, teile dein Glück, und es wird größer!” Das ist Marias Devise.

Vielleicht mag mein Gedicht über sie das widerspiegeln, was ich bei der Begegnung mit ihr vor Jahren in Kairo empfand:

Ihr schweigt das Leid des Lebens nicht,

und aus ihr wächst mit steigendem Verlangen

jene Begeisterung fürs Licht.

Sie hält den Frühling in den Händen,

wenngleich die Jahre ihn verbrannten.

Der Geist in ihr ist wie ein Schwung,

er stets weggibt und auch empfängt


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