von Beate Kerber

Allison starrte auf die blutige Szene, die sie vor sich sah. Sie hatte schon viele Mordschauplätze gesehen, aber dieser übertraf alle bisher gesehenen bei weitem.

Dieser 7.7.2007 war wohl nicht der schönste Tag im Leben der sieben Bräute gewesen. Blutverschmiert lagen sie in ihren Brautkleidern da, und sahen aus wie Prinzessinnen, die einem schlimmen Mordkomplott zum Opfer gefallen waren.

Der Mörder hatte sich wohl einen Spaß daraus gemacht, mit der Zahl Sieben herum zu spielen. Alle Opfer waren sieben Mal mit einem Messer gestochen worden, und danach die Leichen zu einer makaberen Sieben zusammengelegt worden.

Was hatte es nur mit dieser Sieben auf sich?

Der Pathologe beugte sich erneut über eine der Leichen.

“Sieben Einstiche im Brustbereich mit einer sehr großen, sehr scharfen Klinge. Ich weiß, es hört sich beinahe an, wie eine Schallplatte, die einen Kratzer hat, und immer wieder die gleiche Stelle wiedergibt, aber der Täter hat präzise bei allen sieben Frauen, die selben Tatmuster hinterlassen. Ich habe so etwas in meiner gesamten Laufbahn als Pathologe noch nicht gesehen, und ehrlich gesagt, könnte ich auch liebend gerne darauf verzichten.” George und Allison kannten sich schon seit der College-Zeit. Sie waren damals weitaus mehr gewesen als nur Freunde und Studienkollegen. Zwischen den beiden existierte so etwas wie ein magisches Band, das trotz der verschiedenen Berufe, welche die beiden nach dem College gewählt hatten, niemals zerrissen war.

“George, hast Du sonst noch irgendwas Interessantes für mich gefunden? Irgendwelche Hinweise auf die Opfer: Ausweise, Mobiltelefone, oder tragen sie sonst etwas bei sich, mit dem ich etwas anfangen kann?”, fragte Allison, während sie nochmals die Szenerie betrachtete und sich, vom Ekel übermannt, wieder abwandte.

“Nein, tut mir Leid, das einzige, was ich neben den Leichen fand, war eine Streichholzschachtel mit dem Emblem einer Bar, wo Du und dein Freund öfters hingehen. Siehst Du, das Mystics.” Er hielt das kleine Päckchen Streichhölzer in ihre Richtung.

In diesem Moment klingelte Allisons Handy. In großen Lettern stand >SCHATZ< darauf. Sollte sie nun abnehmen? Er wusste doch, dass sie gerade arbeitete.

“Ja? Schatz, ich bin gerade an einem Tatort, du weißt doch, dass ich während der Arbeitszeit keine privaten Gespräche führen darf…” Sie klang etwas genervt.

“Ich weiß, aber ich wollte dich an unsere Verabredung heute Abend erinnern. Heute ist immerhin unser Jahrestag. Heute, genau vor sieben Jahren, lernten wir uns kennen. Treffen wir uns um sieben Uhr im Mystics?”, sagte Allisons Freund mit weicher Stimme.

“Ich würde ja gerne, aber ich weiß nicht, ob ich in der Stimmung bin. Wenn du gerade das sehen würdest, was ich sehe, würdest du mich verstehen.”

“Dann ist dir also dein Job wieder einmal wichtiger als ich. Von mir aus, mach doch was du willst…” Mit diesen Worten war das Gespräch beendet.

Allison bemerkte wie eine Träne über ihr Gesicht huschte. George sah sie verständnisvoll an. Wie gerne hätte er sie in den Arm genommen, aber als er an sich herab schaute und seine Arbeitskleidung betrachtete, ließ er es doch lieber bleiben.

“Mach dir nichts daraus. Die anderen Menschen, die nicht in unserem Metier arbeiten, werden niemals verstehen, unter welchem Stress wir stehen, wenn wir hinter einem Mörder her sind. Er passt einfach nicht zu dir, und das sage ich dir schon lange. Du brauchst jemanden, der verständnisvoll ist, dich versteht und immer zu dir hält!” George war schon seit vielen Jahren unsterblich in Allison verliebt, hatte immer Angst gehabt, dass sie seine Gefühle nicht erwidern würde. Sie hatte einen Freund, der zwar ein Vollidiot war, aber dennoch war James schon seit sieben Jahren mit Allison zusammen, und das letzte, was George wollte, war sich zwischen ein Paar zu stellen, das so lange schon zusammen war. Aber er war sich sicher, dass er eines Tages die Chance dazu bekommen würde, endlich Allison in die Arme zu schließen.

Allison starrte erneut auf die Opfer. Was für ein Mensch konnte so etwas nur tun? Nicht nur, dass diese Frauen an dem Tag sterben mussten, der für sie der schönste hätte werden sollen, nein es war auch die Tatsache, dass sie gemeuchelt wurden, geschlachtet wie Vieh.

“George, wir müssen dieses Schwein schnappen, koste es, was es wolle!” Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

“Als erstes müssen wir erst einmal die Leichen in die Pathologie bringen lassen, und den Tatort von unserer Spurensicherung noch mal gründlich untersuchen lassen. Möglicherweise haben wir irgendwas übersehen!” George war in allem sehr genau, aber darum war er als Pathologe sehr beliebt. Wenn es etwas an einer Leiche zu entdecken gab, dann fand er es garantiert.

Die Leichen wurden abtransportiert und der Tatort von der Spurensicherung unter die Lupe genommen. Nichts war zu finden. Es war der perfekte Mord, der perfekte Massenmord. Kein Fingerabdruck, kein Haar, keine DNS – NICHTS. Und das schlimmste war die fehlende Tatwaffe.

Allison brütete mittlerweile erneut über den bisher erlangten Erkenntnissen. Es war nicht viel, aber ihr Gespür, das ihr als Profiler immer wieder Recht gegeben hatte, verriet ihr so einiges: Der Mörder war wahrscheinlich ein Weißer, zwischen 25 und 35 Jahren, psychisch labil, wahrscheinlich schon seit Jahren in psychologischer Behandlung und hat offensichtlich ein Problem mit Bindung und Frauen. Möglicherweise wird er von seiner Partnerin unterdrückt, oder hatte in seiner Kindheit eine Mutter, die mit sehr viel Dominanz den Haushalt beherrschte.

Das waren alles Vermutungen, aber normalerweise behielt sie Recht. Nur sie kam einfach nicht dahinter, in welchem Zusammenhang die Zahl Sieben mit den Morden stand.

Wurde der Täter selbst immer siebenmal geschlagen, wenn die Eltern die Hand erhoben. Hatte ihn vielleicht einfach das Schnapszahl-Datum in Rage gebracht? Wurde er vielleicht vor dem Traualtar verlassen, weswegen er Bräute tötete?

Wieder vibrierte Allisons Handy. “Nicht schon wieder!”, dachte sie sich. Wieder stand in großen Buchstaben >SCHATZ< auf dem Display.

“James, was ist denn? Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich heute kann. Ich verspreche dir, dass ich dich anrufe, sobald ich hier weg kann.” Allison klang genervt, aber warum konnte er auch nicht verstehen, dass die Arbeit einfach vorging.

“Ich weiß, dass du im Stress bist, aber ich habe das Nebenzimmer im Mystics für uns beide reserviert, denn ich wollte dich mit einem Candlelight-Dinner überraschen.

Falls du dich vielleicht für eine Stunde von deiner Arbeit loseisen kannst, würde ich mich wirklich freuen, nur für eine Stunde, Schatz!!”, seine Stimme klang sanft und fürsorglich, und während sie ihm zuhörte, fiel, wie durch Zauberhand, der Plastikbeutel mit dem Streichholzpäckchen aus der Beweismappe: Mystics – Lounge and Restaurant.

Sie überlegte kurz, und sagte dann: “Okay Schatz, ich fahre gleich los. Die im Department werden schon ein zwei Stunden ohne mich klarkommen. Bis dann, hab dich lieb.” Sie wartete keine Antwort mehr ab, sondern legte sofort auf. Sie musste so schnell als möglich zu George und ihn mitnehmen. Er könnte sich ja vielleicht solange umhören, während sie aß. Außerdem genoss sie seine Gesellschaft. Er war der beste Freund, den man sich wünschen konnte.

Schnurstracks ging sie durch die Gänge, zur anderen Seite des Gebäudes, um dann in die Pathologie zu gelangen.

“George, komm wir gehen ins Mystics. Vielleicht gibt es ja dort eine Verbindung zu den Morden.” George kam erst gar nicht dazu, etwas zu entgegnen, denn Allison hatte ihn schon beim Arm gepackt, und zerrte ihn aus dem Obduktionssaal hinaus.

Im Auto erklärte sie ihm kurz, was sie vorhatte. Es war vage, aber sie war sich sicher, dass in dieser Bar der Mörder ein und aus ging. Vielleicht war sie ihm sogar schon einmal begegnet.

Im Mystics angekommen, wurde sie schon von dem Empfangschef mit einem Lächeln in Empfang genommen. Sie folgte ihm in das Nebenzimmer, das mit Kerzen und Rosen dekoriert war. James saß schon an dem runden Tisch, der wunderschön eingedeckt war. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss.

“Hallo Schatz, schön dass du es geschafft hast. Ich dachte schon ich müsste unser siebenjähriges Jubiläum allein feiern. Aber es scheint, du hast das Brotkrumen, das ich gestreut habe, richtig gedeutet!” James sah auf einmal so anders aus. Er hatte so etwas Furchterregendes in den Augen, ein Blitzen, das dem des Teufels glich, der gerade aus dem tiefsten Höllenschlund emporsteigt.

“Du brauchst gar nicht erst schreien. Dich kann hier niemand hören. Ich habe dem Empfangschef gesagt, er soll die Türen verriegeln. Geld regiert die Welt!”

“Was willst du mir damit sagen? Willst du mich auch töten, wie die armen Frauen, die eigentlich jetzt gerade den Hochzeitskuchen anschneiden würden? Ich habe es gespürt, dass es nur du sein konntest. Du warst heute Nacht auf einmal verschwunden, und das Streichholzetui, ich bitte dich, das konntest nur du gewesen sein.” Auf einmal sah sie ein Blinken in ihrem Blickwinkel. Schon hatte James den Revolver auf sie gerichtet. Es gab kein Entkommen, alle Ausgänge waren verriegelt.

“Du wirst mich nicht verlassen, niemals! Ich weiß doch, dass da was mit diesem George läuft. Sieben Jahre hab ich dir geopfert!!! Sieben lange Jahre. Mein Vater musste uns alleine aufziehen, weil meine Mutter uns nach sieben Jahren verlassen hatte.”

Das war also der Grund. Jetzt wusste sie alles. James hatte gerade den Hahn zurückgezogen, als auf einmal die Tür aufsprang und George im Raum stand. Er zögerte nicht lange und schoss. Er hatte seine Kanone gezogen und Allison vor James gerettet.

Sie rannte auf George zu, umarmte ihn, und sah ihn mit Tränen in den Augen an.

“Du hast mich gerettet!”, sagte sie mit zittriger Stimme.

“Er war nie der Richtige für dich. Niemals!”, mit diesen Worten zog er sie an sich heran, und küsste sie.


  1. Sue

    Erinnert mich von der Story her stark an Verliebt, verlobt…und tot von Thomas Kredelbach.
    Allerdings habe ich hier beim ersten Anruf von James gewusst, dass er der Mörder ist.
    Gruß Sue

  2. Sarah

    Ja, erinnert wirklich an den Roman von Thomas Kredelbach.



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