von Martina Moritz
Vincent ist großartig. Vincent kann so herrlich irre gucken. Erst gestern habe ich mir bei Weissweinschorle und Camembert-Schnittchen einen von Vincents Gruselklassikern im Fernsehen angeschaut. Vincent spielt Dr. Phibes, einen durchgedrehten Ehemann. Neun Ärzte und eine Krankenschwester will er umbringen, weil die seine Frau auf dem OP-Tisch haben sterben lassen. Inspirieren lässt er sich dabei von den zehn ägyptischen Plagen. Eine hübsche Idee.
Leider kann ich Ralf, meinen untreuen Ehegatten, nicht mit Hunderten von Heuschrecken oder Ratten beglücken. Vermutlich würde der Tierhändler misstrauisch werden. Verglichen mit dem, was ich mir für Ralf ausgedacht habe, ist mein TV-Freund allerdings ein Chorknabe.
Eigentlich müsste Ralf täglich zur Beichte gehen. Er ist der einzige Mensch, der alle sieben Todsünden in sich vereint. Mal abgesehen davon, dass er eitel, geizig und träge ist, trinkt er gerne und schaut jeder halbwegs hübschen Frau hinterher. Hinzu kommt, dass er niemandem etwas gönnt und zu Wutausbrüchen neigt. Ralf ist ein wirklich schwieriger Fall. Und diesen Fall gilt es zu lösen.
Nächste Woche wird er mit seiner neuen Flamme Isabella und ihrem Vater, Herrn Fröhlich, Ralfs Chef, in Urlaub fahren. Es geht in die Steiermark auf die Senneralm, dort, wo ich all die Jahre mit Ralf den Urlaub verbrachte. Hätte er nur nicht so grob und gefühllos unsere langjährige Beziehung beendet. Nach allem, was er mir angetan hat, hat er Abwechslung verdient. Und Vincent wird mir dabei helfen.
15. August, 1.35 Uhr
Projekt Luzifer läuft. Zur Sicherheit habe ich mir noch einmal Vincents Gruselklassiker angeschaut. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Den Rotwein habe ich bestellt, die Geschenke ebenfalls und die Schauspielerinnen sind engagiert. Die Überwachungsausrüstung für die Hütte hat Ulli besorgt, der mit Lydia verheiratet ist, meiner besten Freundin. Übermorgen werde ich mit Lydia und Ulli zur Senneralm fahren, um die Holzhütte zu präparieren. Ich könnte jetzt schon vor Freude „La Montanara” jodeln. Winzige Kameras und Mikrofone werden jede Bewegung in und vor der Hütte verfolgen. Und ich werde auf dem Dachboden versteckt per Monitor auf Ralfs Pfaden wandeln. Wird das ein Fest!
17. August, Viertel nach elf morgens
Es geht los. Ulli sitzt am Steuer, Lydia auf dem Beifahrersitz und ich kauere auf der Rückbank. Bei dem Gedanken, Ralf wieder zu sehen, tanzt meine Magensäure Foxtrott. Neun Jahre waren wir zusammen gewesen, neun Jahre habe ich sein Sündenregister ertragen, das so lang ist wie die chinesische Mauer, dann erklärte er mir aus heiterem Himmel am Frühstückstisch – nachdem er unpassenderweise sein hartgekochtes Ei geköpft hatte – dass es zwischen uns aus sei. Keine Gespräche, keine Entschuldigung, nichts. Stattdessen ließ er am nächsten Morgen den Möbelwagen kommen. Meine Koffer bekam ich fertig gepackt dazu gestellt. Kein Wunder, dass mir Vincent gefällt. Mein Körper schreit nach Rache. Diese Nacht werde ich ausgezeichnet schlafen.
19. August, 21 Uhr, Senneralm, Steiermark
Alle Räume sind verkabelt. Zwei Tage haben wir dafür gebraucht. Eigentlich ist Isabella, Ralfs Neue, ganz nett. Mit ihren schwarzen Locken und den blassen Wangen sieht sie aus wie Schneewittchen. Ich muss es wissen, Ralf und ich arbeiten schließlich für die gleiche Firma. Herrn Fröhlich gehört die größte Baustoffhandlung in München. Die Aufgaben sind klar verteilt. Isabella sitzt in der Geschäftsleitung, Ralf ist Vertreter und ich sitze, umgeben von einen halben Dutzend Kollegen, in einem der zahlreichen Großraumbüros und erledige die Buchhaltung. Mittlerweile ist Ralf dank Isabellas Fürsprache für einen Posten in der Geschäftsleitung im Gespräch. Ralf hatte immer schon einen Hang zu Höherem. Hoffentlich bereut Isabella ihre Entscheidung nicht. Sofern es nach dem Urlaub noch etwas zu bereuen gibt.
20. August, gegen 14 Uhr, Almhütte, Dachboden
Lydia und Ulli sind ins Gasthaus Huber gezogen, das weiter unten im Dorf liegt. Ich habe meinen Posten auf dem Dachboden bezogen und warte auf die Ankunft der Gäste. Vier Tage werde ich hier oben aushalten. Länger gebe ich Ralf nicht.
Ulli hat mir eine tragbare Toilette und einen Kühlschrank aufgestellt. Ralf wird keinen Fuß auf den Dachboden setzen. Selbst auf der Alm trägt er cremefarbene Bundfaltenhosen und gestärkte, grüne Krokodil-Shirts. Die Chancen, von ihm oder Isabella oder gar Herrn Fröhlich überrascht zu werden, sind in etwa so hoch, als würden Außerirische auf dem Times Square landen. Vermutlich wird Ralf dieselben Ausflüge mit Isabella und Herrn Fröhlich unternehmen, die er mit mir gemacht hat. Allerdings kann ich mir den kühlen Herrn Fröhlich nur schwer auf einem Pony oder in einer Bar vorstellen. Unser Chef verabscheut Alkohol. Glücklicherweise, kann ich nur sagen.
20. August, 00.15 Uhr, Almhütte, Dachboden
Pünktlich um halb drei standen Ralf, Isabella und Herr Fröhlich heute Nachmittag vor der Hütte. Zenzi, die Hüttenwirtin, hatte die drei mit ihrer Droschke, vor die sie ihr Lieblingspferd Susi gespannt hatte, rauf auf die Alm gefahren. Dass Ralf keine Lust verspürte, hinauf zu laufen, war mir schon klar. Und dass Isabella und Herr Fröhlich in ihren hochglanzpolierten Designerschuhen ebenfalls nicht zu Fuß gehen, war mir auch klar. Morgen wird Ralf seine erste Überraschung erleben. Zur Begrüßung habe ich mir etwas Besonderes ausgedacht.
21. August, 9.15 Uhr, Almhütte, Esszimmer
Minikameras, Mikrofone und Monitore sind eine wunderbare Erfindung. So blass habe ich Ralf selten erlebt. Als Isabella heute Morgen Frühstück machen wollte, fand sie auf dem geschnitzten Eichentisch im Esszimmer ein Dutzend Schachteln von Gucci, Prada und Giorgio Armani vor. Sie war außer sich vor Freude. Fünftausend Euro habe ich in High Heels, Kaschmirschals und Chiffonblusen investiert. Die Quittung der Bank, auf der Ralf sein Schwarzkonto unterhält, habe ich vernichtet. Im Liebesrausch hat er vergessen, mir die Kontovollmacht zu entziehen. Ich habe alles abgehoben, insgesamt vierzigtausend Euro. Todsünde Nummer eins: Der Geiz.
21. August, 18 Uhr, Almhütte
Ralf wirkt ein wenig zerfahren. Soeben habe ich Aktion Nummer zwei gestartet. Vor ihm, in der Eingangstür zur Hütte, stehen vier leichtbekleidete junge Damen und umarmen johlend ihren Super-Ralfi. Ich unterdrücke ein lautes Lachen und presse mir die Hände vor den Mund. Babsi, Elena, Susanne und Luisa machen ihre Sache ausgezeichnet. Babsi schwenkt eine Flasche Bacardi, Elena rückt ihr Strumpfband zurecht, Susanne leckt sich die Lippen und Luisa imitiert begnadet die französische Lady aus der Bierwerbung. Es war eine gute Idee, beim Filmhaus München anzurufen. Ralfs Gesichtsausdruck ist unbezahlbar. Isabella hat ihm soeben eine Ohrfeige verpasst. Todsünde Nummer zwei: die Wollust.
22. August, 12 Uhr, Almhütte, Esszimmer
Ich muss an Vincent denken. Vincent würde sich über meine nächste Einlage freuen. Der Tierhändler hat mich seltsam angeschaut, als ich einhundert Maden bei ihm bestellte. Jetzt steht Ralf in der Küche, mariniert den Romanesco-Salat und die Straußenfilets, schmiert selbstgerührte Kaviar-Knoblauchbutter auf Toastscheiben und rührt den Bourbon-Vanillepudding an. Natürlich will er glänzen, wie in allen Bereichen seines Lebens. Eitel, wie er ist, lässt er es sich nicht nehmen, Firmendirektor Fröhlich und Töchterchen Isabella ein raffiniertes Dreisterne-Mahl zu kochen.
Erwartungsvoll sitzen Herr Fröhlich und Isabella am Esstisch. In einem günstigen Moment, Ralf weilt auf der Toilette, schütte ich die blassgelben Maden in den Vanillepudding. Sie harmonieren ausgezeichnet mit dem Vanillepudding. Stolz trägt Ralf das Essen auf. Seine Wangen sind gerötet. Hätte er die Brille angelassen, wäre ihm das Eigenleben in der Schüssel aufgefallen. Hoffentlich kann Vincent mich sehen. Todsünde Nummer drei: die Eitelkeit.
23. August, 16 Uhr, Almhütte, Terrasse
Nachdem Isabella und Herr Fröhlich das Dessert die Toilette hinuntergespült hatten, durfte Ralf zur Strafe das Bad putzen. Ralfs Überzeugungskraft wirkt Wunder. Heute herrscht wieder eitel Sonnenschein. Vor wenigen Minuten holte Zenzi Ralf, Isabella und Herrn Fröhlich ab, um sie mit der Pferdedroschke ins Tal zu bringen. Vermutlich geht es ins Wildtiergehege und danach in die Waldmeister-Schänke. Ralf wird ein Mineralwasser trinken, Isabella eine Zitronenlimonade und Herr Fröhlich einen Orangensaft. Der Kühlschrank auf der Alm ist voll von diesen Kleinmädchen-Getränken. Dabei liebt Ralf Rotwein und Johnny Walker. Er trinkt das Zeug literweise. Um Ralfs Karriere-Aus vorzeitig zu fördern, wird es Zeit, Herrn Fröhlich die Augen zu öffnen.
23. August 17 Uhr, Almhütte, Terrasse
Herr Semmering vom Party- und Eventservice München hat sieben Kartons exquisiten Rotweins und zwei Dutzend Flaschen Spirituosen angeliefert. Auch Johnny Walker ist dabei. Die portable Bar, eine Leihgabe von Herrn Semmering, macht sich ausgezeichnet auf der Terrasse. Neben der Bar steht ein wohltemperierter Kühlschrank, davor, auf den groben Steinfliesen, haben Herr Semmering und ich drei zünftige Bierzelttische nebst Bänken aufgebaut. Weingläser, Käsehäppchen und Brezeln vervollständigen das Bild. Sobald Ralf, Isabella und Herr Fröhlich zurückkehren, werde ich Babsi und ihren Kolleginnen ein Zeichen geben. Herr Fröhlich wird begeistert sein. Das wird ‘ne Party. Todsünde Nummer vier: Völlerei.
23. August 23.30 Uhr, Almhütte, Terrasse
Sieg auf der ganzen Linie. Herr Fröhlich hat es die Sprache verschlagen. Babsi und die Mädels tanzten wundervoll Can Can. Isabella reagierte wie erhofft. Laut schluchzend rannte sie unter „Ich will dich nie wiedersehen”-Rufen in den angrenzenden Tannenwald. Seit Stunden sucht Ralf sie zwischen Astgestrüpp und böse drein schauenden Gämsen. Der Gute wird völlig erschöpft sein, wenn er zurückkehrt. Wenn man bedenkt, dass Ralf selbst die Kioskgänge mit dem Auto erledigt – soviel Bewegung ist ihm noch nie zuteil geworden. Von der Couch-Potato zum Schnellsprinter und das in fünf Minuten. Todsünde Nummer fünf: die Trägheit.
24. August, 17 Uhr, Almhütte, Dachboden
Vorhang auf zum großen Finale. Seit der Postbote Herrn Fröhlich die Telegramme gebracht hat, sitzt Ralf auf der Terrasse und leert eine Rotweinflasche nach der anderen. Herr Fröhlich ist umgehend abgereist. Isabella hat er mitgenommen. Vorher hat Herr Fröhlich Ralf jedoch einen gezielten rechten Kinnhaken verpasst. Außerdem ist Ralf stolzer Besitzer zweier Chiffonblusen, diverser High Heels und einiger Kaschmirschals. Eberhards Timing war ausgezeichnet. Es ist schön, einen Freund beim Finanzamt zu haben. Eberhard hat gut recherchiert. Herr Fröhlich hat nicht viel unterschlagen, aber für eine saftige Geldstrafe wird es reichen. Hätte Ralf nicht vor Jahren Eberhard aus der Firma gemobbt, dann wäre Eberhard jetzt weitaus besser auf Ralf zu sprechen. Aber Ralf konnte nie anderen etwas gönnen. Das kommt davon, wenn man einem anderen den Posten wegnimmt. Todsünde Nummer sechs: der Neid
24. August, 20 Uhr, Almhütte, Dachboden/Terrasse
Die letzte Todsünde steht an. Wie Ralf es geschafft hat, bisher nicht auszuflippen, ist mir ein Rätsel. Leise steige ich die Stufen hinab. Eine heiße Welle rauscht durch meinen Körper. Gleich wird Ralf eine Flasche Rotwein nach mir werfen, oder ein Glas oder beides. Er kann eins und eins zusammenzählen, er ist nicht dumm, zu offensichtlich ist die Lage, in die ich ihn gebracht habe.
Lächelnd stehe ich vor ihm.
„Du hier?”, flüstert er ungläubig. Er sieht mitgenommen aus. Isabella hat ihm den Laufpass gegeben, Herr Fröhlich hat ihm die Zusammenarbeit gekündigt und dass der Diamantring an meinem Finger von seinem Schwarzgeld stammt, wird mein Werk vollenden.
„Gut, dass du hier bist”, sagt er. Taumelnd erhebt er sich von seinem Platz. Sein Gang schwankt wie ein steuerloses Boot im Ozean. Liebevoll nehme ich ihn in die Arme. Meine Hände streicheln tröstend über sein dunkles Haar. Nicht jeder hat einen Engel an seiner Seite. Zumal der Weg eines Engels, wenn er zornig ist, geradewegs in die Hölle führen kann.
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