von Uta Brandschwei

Die Sieben, sagt man, sei eine magische Zahl – eine Glücks- oder Unglückszahl – in jedem Falle eine Zahl mit höherer ominöser Bedeutung. Schmarrn – sagt ihr? Mag sein.

Zufällig – oder doch nicht?- unabhängig davon, beim Denken über dem Schachspiel hat mich die Sieben in ihren Bann gezogen, umkreiste mich ganz und schenkte mir ein wunderbares Erlebnis, von dem ich nun erzähle.

Plötzlich war ich mitten im Geschehen, die Gedanken formten sich zu elastischen Wolken, wie eine wabernde durchscheinende Gummimasse, die man nur sehen, nicht tasten kann. Sie umkreisten und *whuuuopp* durchzogen mich mit kühlem Schauer und brachten mich doch nicht aus dem Gleichgewicht. Sie waren alle grau, einige heller andere dunkler, genau wie die Waben um mich herum, eine jede ca. zehn Meter hoch und zehn Meter breit.

Mir war unheimlich zumute. Ich versuchte mich zu bewegen – es ging mühelos – in alle Richtungen, die ich nun begann, zu erkunden. Auch hier fiel mir die unterschiedliche Schattierung auf und ich erkannte beim Hinaufschauen hell- und dunkelgraue Waben, die wie auf einem Schachbrett im Wechsel angeordnet waren. Sieben mal sieben Waben und darunter eine gleiche Schicht nur entgegengesetzt die Schattierungen der untereinanderliegenden Waben.

So lagen sieben Schichten untereinander. Beim Durchqueren der Wände ertönte ein Geräusch, wie wenn ein lauter Wind um die Ecke pfeift, aber die Luft stand nahezu still. Die Unfassbarkeit des Ungewöhnlichen erschreckte mich mit einem Male sehr. Plötzlich begann mein Körper,  sich anzuspannen und ich mußte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen, um von der Wucht der plötzlich heftig kreisenden Schattierungen nicht bewußtlos zu werden, ich spürte, wie Panik meine Angst antrieb, taumelig sah ich dem Schauspiel zu und rang nach einem optischen Fixpunkt.

Es war, als wäre ich der einzig feste Punkt im Zentrum eines gewaltigen Kreisels. Der Kubus formte sich zur Spirale, sich in einem schwarzen und einem weißen Strang immer schneller ineinanderdrehend und ich stand fest in ihrer Mitte. Ich befand mich inmitten einer riesigen D N A  mit unfassbar großen Räumen und Dimensionen.

Immer schneller und schneller drehten sich die hellen und dunklen Schatten und raubten mir fast die Besinnung, ich mußte die Augen schließen. Ich verhandelte mit meiner Panik, die Angst nicht mehr herauszufinden, endete, wurde unwichtig und siehe da – es beruhigte sich und klärte sich auf, um mich herum.

Endlich hörte das Flackern vor meinen Augenlidern auf. Und ich blickte mich vorsichtig um. Alles grau, eine ebene Fläche. Ich atmete auf. Es herrschte Ruhe, ich befand mich am Rande eines überdimensionalen Schachspieles. Der Raum hatte keine Begrenzungen mehr, es ging nach oben und unten und nach links und rechts und vorn und dieser Gesamt-Quader verdrehte sich bald linksherum, bald rechtsherum, diagonal und kreuz und quer und es entstanden 343 helle und dunkle, sich verändernde Parallelogramme im 3D-Format, gestreckte, verschobene, in sich verdrillte und umeinander gedrehte Luft-Würfel-Körper.

Da ich also wahrnahm, es seien 7 mal 7 mal 7 Räume also insgesamt seien es 343 versuchte ich mich zu orientieren, Strukturen zu erkennen. Es konnte kein Schachspiel sein, ich erinnerte mich an die merkwürdigen Wolken zu Beginn meines Eintritts in diese Welt, an ihre zerfließenden Formen und Konturen, die sich auflösten, als ich der Ohnmacht nahe war. Nach ihnen hielt ich Ausschau und nach der achten Dimension. Je ruhiger ich wurde, desto weiter konnte ich sehen – aber was war das ?! Ich kam nicht weiter, eben noch konnte ich problemlos durch die nebelige Wand hindurch und nun klebte ich an ihr fest und kam weder vor noch zurück – oh nein!

Höhnisch kreischend rutschte mir die Panik auf der Serpentine der sich neu windenden Spirale entgegen, drang in mich ein und durchschüttelte mich, atemlos erstickten sich Schrille und Gewalt in meiner schreienwollenden Stimme – jeder hatte sicher schon mal einen Traum, in dem er stürzte, in einen Abgrund fiel und erinnert sich, an das Entsetzen vor dem unmittelbar zu erwartenden Aufprall, der Angst vor dem Bewußtwerden und dem Aushalten des Todesschmerzes, der Pein, womöglich den  Anblick der zerberstenden nach allen Seiten splitternden, platzenden Teile seines zerschmetternden eigenen Körpers mit ansehen zu müssen – und in dieser wahnsinnigen Sekunde des nicht mehr zu überbietenden Grauens wacht man dann meist schweißgebadet auf – aber ich fiel – fiel und fiel, gleich würde ich es geschafft haben – es ist nicht zu fassen, wieviel man aushält ohne zu zerplatzen.

Wie schön war es, zum ersten Mal in die unendlichen Tiefen des Cosinus zu stürzen, angstlos und ohne aufzuhören, dazusein, dabeizusein. Pythagoras „errettete” mich! Ich versuchte mich an „Logik” zu klammern – ein irres Gelächter machte mich fast taub und erstarb abrupt, als mir klar wurde, daß es mein eigenes war. Vielleicht war mir gerade der paradoxe Versuch, mit meinem bisschen Logik diese Welt der Wunder erklären zu wollen, zur Rettung geworden, denn dadurch wurde ich innerlich ruhig, wollte einfach erleben, erfahren, erkennen dürfen. Doch sobald dieser Wille zu dominant und präsent wurde, fesselte er mich, stellte mir Fallen, hielt mich fest.

Ich klebte plötzlich in einer der oberen Würfelecken, mit einer Schwimmbewegung beförderte ich mich in den darüberliegenden Raum. Erregung erfaßte mich – hhhdschuuuop – noch eins höher – ich schwebte, lachte und heulte in Einem und hatte Mühe, das Kitzeln meines heftig holpernden Herzschlags auszuhalten – war das unglaublich, wundervoll, irre! Ich tobte mich aus, flog und lachte und ließ mich fallen und *schwamm* wieder hinauf. Völlig erschöpft legte ich mich auf den Bauch, auf den Boden der obersten Ebene und sah hinab, fühlte mich wie ein begnadetes Kind, glücklich, freudig, fröhlich und fasziniert vom gerade begonnenem Spiel…

Wenn ich mich mitzählte, waren es acht…

Jaa! Jajajaja!! Das war es, das mußte es sein! Meine Kraft einteilend durchforschte ich systematisch die Räume, je ruhiger ich wurde, desto schwerer kam ich wieder durch die Wände. Aha!

Ich bediente mich an meiner cerebralen Paranoia-Bar und steigerte mich, mal mehr – mal weniger, in einige meiner persönlichen, gesamtgesellschaftlichen und universellen Verschwörungstheorien, die ich dort zum ständigen Aus- und Umbau zwischengelagert hatte und welche ich mir zu meiner persönlichen Erregung und Belustigung ab und zu in meinem “Inside-Kino” hinter der Regenbogenhaut ansehe; nachdem ich nun mehr Vergnügen als Panik empfand und probte, mich dosiert in Atem haltend, den freien Gang durch meine 343 Räume. Ja – jetzt waren es meine Räume und endlich entdeckte ich die Spielfiguren oder was ich dafür hielt…

Diese Welt wollte ich mir nach und nach erschließen. Ihr Zensor aus meiner Vielheit Mitte ist mir sympathisch, offeriert er mir doch eine angenehme Mischung aus Spiel und Erfahrung, Versuch und Irrtum, Wagnis und Konsequenz…

Wie verschieden dunkle und große, durchsichtige, überdimensionale Zuckerhüte häuften sie sich am Rand der zweiten und dritten Ebene. Ich wollte herausfinden, wie ich sie bewegen könnte. Zuerst machte ich mich an einen Klumpen Dunkelluft, er war etwa zwei Meter hoch, ein Haufen, wie graues durchsichtiges Gelee. Es war einer der Kleinsten. Ich tippte sachte mit dem Zeigefinger hinein, der Haufen wich kraterförmig um meinen Finger zurück; auch als ich die ganze Hand und danach den Arm nahm, entwich die Masse drum herum.

Je mehr ich mich aufregte und je neugieriger ich wurde, desto heller wurde auch er, fast unsichtbar, ich durfte mich also nicht darüber ärgern, mußte Geduld haben und wurde prompt belohnt, da war er wieder: dunkel, mächtig, gut sichtbar. Beherzt sprang ich mitten hinein. *Whhhuuuuooopp* durchzischte es mich kühl und der Haufen lag hinter mir. Aber Moment – hatte ich nicht die Mitte getroffen? Wieder und wieder sprang ich, aber um mehr als seinen Fuß-Radius wich der Haufen nicht. Sprang ich etwas vor die Mitte des Fußes, ploppte sich der Haufen vor mich, sprang ich in die Mitte oder darüber hinaus, setzte er sich, mich durchwogend, hinter mich. Alle Haufen so bewegen zu wollen war völlig abwegig, es mußte noch einen anderen Weg geben.

Ich war frustriert. Das war ja anstrengend! Ich wünschte, dieser elende Luftbatzen würde zerlaufen und wie ein Rinnsal da hinüber auf die andere Seite dieser Ebene fließen!

Oh je! Der Haufen erhob sich und waberte um mich herum,  strudelte helldunkelhelldunkel meiner Angst entgegen aber ich holte tief Luft, mehr als von einem kalten Schauer durchzogen zu werden konnte mir nicht passieren, ich bemühte mich, ruhig zu bleiben.

Der Rücken riß mir auf, faltete sich nach vorn und klappte vor mir zusammen, es drehte mich in mir und drückte mich wieder heraus – unangenehm, etwas schmerzhaft aber eben noch erträglich war dies. Der Dunkellufthaufen lag, wo ich vorher stand, selbst saß ich auf der anderen Seite. Beruhigen – ich mußte mich beruhigen!

Ich will nach dieser Darstellung und Beschreibung dieser ganz anderen Welt vorläufig nun enden -nach diesen ersten, laienhaften Anfängen eines Spiels, der Konstruktion einer inneren Welt, einer von Vielen, aber einmal einer Positiven.

Die Kraft meiner Vorstellung definierte die Formen der Haufen in ihren Möglichkeitsrahmen, meine gewollten Gedanken  gaben diesen Urformen Struktur. Je ernsthafter ich die Sache betrieb, desto dunkler und konturierter wurden die Figuren, je euphorischer oder ängstlicher ich war, desto heller und verschwommener wandelten sie sich…

Ich muß lernen, mich in mir eins, zu verzweien, weiter und weiter, mich zu molekularisieren, mich ohne Angst in die einzelnen Teile, aus denen ich bestehe, auflösen zu lassen, mich gänzlich dieser „Realität” anzuvertrauen, mich fallen zu lassen, treiben zu lassen und mich vertrauensvoll dem „Spiel” zu überantworten und will, daß es meine Entität konvergiert, in einen höheren und besseren Zusammenhang setzt, mich ständig erneuert. Ich will eine neue Partie nicht bloß wagen, sondern ihre Regeln erkennen und die Funktionen der Strukturen begreifen.

Aber bis dahin ist’s sicher noch ein langer Weg, denn ohne Angst, sondern mit Freude, die fest umrissenen Formen und Grenzen meines Seins zu verlassen – ist ja doch, mehr oder minder, die Bereitschaft, zu sterben – sich aufzulösen in die Bestandteile des Seins um im ewigen Flusse immer wieder von Neuem ganz von ihm durchdrungen auf es einzuwirken.

Sieg und Niederlage verschmelzen, werden aufgehoben, es geht um viel mehr aber auch um weniger, je nachdem, von wo aus man das Spiel betrachtet, durch vielerlei Facetten kann ich nun die Welt betrachten, sie wird aus ihren mir vertrauten Formen und Strukturen  zerlegt, in andere Quantelungen aufgelöst und neu zusammengefügt.

Es ist wie ein Blick durch ein Kaleidoskop, mit dem ich schon als Kind fasziniert spielte, nur mit dem Unterschied, dass dieser  Blick in ein gänzlich anderes Universum für mich real ist und mich nun wie ein großes, magisches Spiel lockt, wie ein Geheimnis und Geschenk, will mir dieses „Spiel” seine Wahrheiten und Möglichkeiten offenbaren. Bin ich reif und würdig für diese Erkenntnis, darf ich dieses Geschenk annehmen, seine Geheimnisse einfach weiter ergründen?

Erst muß ich immer auf’s Neue herausfinden, wie sich die Strukturen definieren und mit welchen Eigenschaften und Funktionen sie ausgestattet und verbunden sind und  werden können, welche Gedanken sie bewegen und aus wievielen Perspektiven heraus sie mindestens zu betrachten notwendig sind,  um sie auch durch die Ebenen zu bewegen. Meine Auflösung und Verzweiung in der Hauptfigur sei symbolisch am ehesten vergleichbar, gleichzeitig Dame und König im Schachspiel zu sein, deshalb bin ich nur der siebente und doch der letzte von acht Spielern.

Es handelt sich um ein phantastisches Gedankenspiel, das variabel aber doch in Rahmungen mit wechselnden Paspartouts durch die Grenzen meiner Vorstellungskraft vordefiniert ist, die zu erweitern mir dieses Spiel eine liebgewordene Übung ist. Es transportiert die Freude am Entdecken, Verstehenwollen und Ausprobieren.

Die Auswirkung auf meinen Alltag ist, daß ich ihn überhaupt aushalten kann, nachdem ich meinen schmerzenden Blick durch andere Perspektiven entkrampft habe. Parallelen liegen auf der Hand, in meinem Leben bin ich die Hauptfigur – ohne Wenn und Aber muß ich mir Zensor, Ziel und Zögling sein, soweit es eben da draußen möglich ist und mit Fremdwelten nicht zerstörend kollidiert.

Sinnlose Ängste, verzagte resignative Risikovermeidung  behindern ebenso wie allzu blindwütig-forsches, euphorisch-energisches Fortschreitenwollen. Vollkommene Harmonie wäre Stillstand, der rechte Schwung des Seinspendels durch Zeit und Raum will geübt sein. Ich will diese wunder- und geheimnsivolle „Ewig-Neue Welt” erforschen und entdecken.

In der steten beherzten und vorausschauenden Negation der Negation, dem steten Weiterforschen, in der Durchdringung der Gegensätze  liegt eine Faszination, die das Leben erträglich machen kann.


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