von Franziska Dorothea Schmidt
– 7: Die Zahl des Friedens –
Schnelle Schritte. Irgendwo. Irgendwo hinter ihm. Heißer Atem. Ganz in der Nähe. Wieder Schritte, dieses Mal sind sie näher, lauter. Steine knirschen unter harter Sohle.
Ein nervöses Zucken der Augenlider, irgendwo in einer Seitengasse, ein verzerrtes Lächeln. Eine Fratze. Kalter Schweiß auf gerunzelter Stirn. Ein lautloser Schrei direkt vor ihm. Wieder ein zahnloses Grinsen.
Dann wieder diese Schritte. Ganz nah. Fast schon neben ihm. Kein Speichel mehr, um zu schlucken, nur noch eine trockene Kehle und das Hämmern des eigenen Herzens.
Er hält inne, lehnt sich verzweifelt gegen die nächste Hauswand, seine Beine scheinen nachzugeben. Tief holt er Luft und schließt seine Augen krampfhaft.
Noch immer hört er die schneller werdenden Schritte in seinem Kopf, zusammen mit Stimmen und den Fratzen alter Zahnloser am Wegrand. Ekel überkommt ihn und er beugt sich vorne über.
Schwer atmend streicht er sich das schweißnasse schwarze Haar aus dem Gesicht. Seine Hand berührt seine glatten Wangen.
„Move it!”
Er erstarrt, langsam hebt er seinen Blick. Dunkel und nichts sagend blicken seine braunen Augen in blaue.
Der Mann vor ihm trägt Uniform. Grün und braun gemustert mit einer Flagge am Ärmel. Leer erscheinen seine Augen plötzlich. Leer und gefühllos.
„Move it!” Wieder die tiefe Stimme mit deutschem Akzent, wieder die aufdringlichen Augen in stechendem Kontrast zur roten Kopfbedeckung. Wieder der Gedanke an die schussbereite Waffe in der Hand des Soldaten.
Er nickt kurz und richtete sich wieder zu voller Größe auf. Sein Hemd ist schmutzig und seine Schulterblätter bohren Sshmerzhaft in die Hauswand. Sich vorsichtig abstoßend tritt er wieder auf die Straße.
Wieder die Menschenmenge um ihn herum. Seine Schritte sind fest und zielstrebig. Er muss hier weg. Wie Pfeile aus reinstem Feuer fühlt er die Blicke des Soldaten in seinem Nacken, als die schweren Militärfahrzeuge an ihm vorbeihetzen. Mehr blaue Augen.
Er schließt die seinen und verschwindet unbemerkt in einer kleinen Gasse. Gesegnete Stille umgibt ihn. Er fühlt sich schwer.
~~o~o~~
Sie ist ein Jahrtausendkind. Geboren im März 2000. Ungeplant und unerwünscht. Nur ein weiteres Mädchen, das verheiratet werden musst, bevor der Vater stirbt.
Nur ein weiteres Mädchen, um das es sich zu kümmern gilt.
Zur Schule geht sie nicht, wie auch?
Sie ist ein Mädchen und nichts als trockener Boden und zerfallene Militärbasen erstreckten sich hinter dem Grundstück ihrer Familie.
Ihr Vater, ein Mann, dessen Augen kleinen Löchern gleichen, ist gezeichnet vom Krieg des vergangenen Jahrhunderts. Nie spricht er ein Wort.
Er sitzt und denkt, verloren in sich selbst mit schwarzen Augen und tiefen Furchen in den Wangen.
Ihre Mutter ist ergraut, was aber der Welt verborgen bleibt, ihr Gesicht, zergerbt vom Licht der Sonne und dennoch blass und kränklich lässt sie um Jahre altern.
Das Mädchen folgt ihr. Nackte Füße auf heißem Boden und dennoch leichtfüßig springend. Ihre kleinen, olivefarbenen Hände streifen sacht den bläulich grauen Stoff der Burqa, deren Saum ausgefranst ist. Sie wundert sich, dass ihrer Mutter nicht viel zu heiß ist.
„Moor!”, ruft sie lachend und umfasst die rauen Hände ihrer Mutter. Angekaute Nägel hinterlassen Abdrücke. „Moor, ay?!”
Sie tanzt. Wie jedes siebjährige Mädchen tanzt sie, obgleich der Trockenheit um sie herum, obwohl sie nicht sagen kann, ob ihre Mutter sie überhaupt ansieht, denn ihre Augen kann das Mädchen durch die kleinen Schlitze ihrer Burqa nicht erkennen.
~~o~o~~
Es riecht nach Kot und Abfall, mehrere Hunde schleichen in der kleinen Gasse um ein Stoffbündel. Der Mann schenkt ihnen keinen Blick. Starr fixiert er die Wand vor sich.
Orange mit Rillen, Furchen und Löchern. Irgendwo über ihm muss ein Fenster offen sein. Der Geruch von geräuchertem Fleisch steigt in seine Nase und er kann die Fliegen hören.
Wieder steigt das Gefühl von Übelkeit in ihm auf, seine Hände umfassen krankhaft seinen gewölbten Bauch. Das braune Klebeband scheuert seine Haut auf. Er schließt wieder die Augen.
Die Lippen sanft geöffnet, wie zum Sprechen eines Gebets, lässt er seine Hände gegen die Wand fallen, dann gleitet er an ihr hinab. Zusammengekauert bleibt er sitzen, legt seinen Kopf auf seine Knie.
Er flüstert. Leise abgehackte Worte, unverständlich, selbst für ihn. Worte, deren Bedeutung sich ihm nicht erschließt, deren Bedeutung andere ihm versuchten zu sagen. Ihn verleiteten zu glauben, zu handeln, hier zu sein.
Wie ein bereits Sterbender klammert er sich an jene Worte, als könnten sie seine rauen Lippen verlassen, emporsteigen und ihn mit sich ziehen. Jetzt schon. Einfach entschlafen.
Die höher steigende Sonne streift sein Gesicht. Seine Augen noch fester zusammenkneifend versucht er ihre Existenz zu ignorieren. Der dicke Gürtel um seinen Bauch drückt nun immer schmerzhafter. Er muss aufstehen.
Atemlos wiederholt er ein letztes Mal sein Stoßgebet, dann erhebt er sich.
~~o~o~~
Ihr schwarzes Haar ist widerspenstig, kaum zähmbar, immer bemüht ihren Kopf vollkommen zu umgeben und von ihren großen, schwarzen Augen abzulenken, die neugierig aber ohne Bewegung die Umgebung aufnehmen.
Der Bus ist alt und die Fenster sind teilweiße zerbrochen und notdürftig mit Klebeband repariert. Jede Frau hier trägt dunkle, verhüllende Gewänder und die Kinder sitzen zwischen Vater und Mutter auf schmalen Sitzen.
Sie beobachtet den Fahrer des Busses vor sich. Er ist dürr und sie erkennt dicke, wulstige Blutadern unter seiner pergamentähnlichen Haut. Seine weiße Kleidung bewegt sich unablässig im Fahrtwind, der durch das geöffnete Seitenfenster neben ihm in den Innenraum des Fahrzeuges strömt.
Die Straße ist uneben, Schlaglöcher regelmäßig alle fünfhundert Meter. Kleine Brücken und Dörfer links und rechts. Ab und zu ein Viehtransport und natürlich das Militär.
Das Mädchen reckt neugierig ihren Hals, als der offene Jeep den Bus seitlich überholt. Ihr Vater stößt sie grob zurück. Sie streicht sich die schwarzen Haare wieder aus dem Gesicht und folgt den Wagen mit den Augen. Sie alle haben Buchstaben eingeritzt und der blanke Stahl glitzert im Licht der aufgehenden Sonne. Sie kann nicht lesen, was darauf geschrieben ist.
Wieder ein Schlagloch.
Ihre Beine baumeln über dem Boden und sie kaut nervös auf ihrer Unterlippe. Sie blutet leicht.
~~o~o~~
Für einen kurzen Atemzug lehnt er sich noch gegen die Wand, dann streicht er sein Hemd erneut glatt und presst das Klebeband ein letztes Mal fest an seinen Bauch. Niemand wird vermuten. Niemand wird erkennen.
Vorsichtig setzte er Schritt vor Schritt. Seine Beine scheinen weich und neigen dazu auszubrechen und seitlich einzuknicken. Er geht langsamer und betrachtete die Straße vor sich.
Ein alter Mann sitzt wenige Meter entfernt vor seinem Haus auf einer alten Bank. Er raucht eine amerikanische Zigarette. Seine braunen Lippen pressen sich fest um die gefüllte Papierrolle, Tabak fällt zu Boden, dunkle Augen leuchten, als der graue Qualm in seinen Mund eindringt um kurze Zeit später durch seine breiten Nasenlöcher wieder zu entweichen. Er lacht sein zahnloses Lachen und winkt dem anderen zu.
Für einen Moment betrachten sie sich und der Jüngere spürt den Blick des anderes auf sich ruhen, wie er langsam tiefer wandert und an seinem Bauch hängen bleibt. Er dreht sich um und geht.
Auf der Straße erkennt man noch immer die Reifenspuren der Militärfahrzeuge. Seine Schritte werden schneller. Dann verschwindet er in der Masse und wartet.
~~o~o~~
Ihr Vater geht voran. Forschen Schrittes überquert die Straße und schlängelt sich durch die Markstände hindurch. Seine Frau folgt. Sie hält Abstand. Genug, um ihr Gesicht zu wahren aber nicht zu viel um allein zu sein.
Das Mädchen weicht nicht von ihrer Seite.
Ihre Füße berühren harten Boden. Härter als zuhause und überall der Lärm. Sie mag die Stadt.
Ein anderes Mädchen sieht sie neugierig an. Sie lächelt, aber dann muss sie auch schon weiter. Zum nächsten Stand.
Tänzelnd folgt sie den Reifenspuren.
Zwischen all dem weiß, grau, blau und schwarz erkennt sie plötzlich grün. Ein großer, runder Platz, umgeben von kleinen Ständen gefertigt aus altem Holz und dahinter Männer.
Viele. Wie viele kann sie nicht sagen, aber es sind viele.
Eine große Hand umschließt ihre Schulter und drückt sie gegen die Stufen eines Hauses. Die dunklen Augen ihres Vaters befehlen ihr zu warten. Sie setzt sich.
Dann wandert ihr Blick wieder zu den Soldaten. Dort steht auch das Auto, welches sie erst Stunden zuvor überholt hat.
Mehrere Kinder haben sich bereits dort versammelt. In ihren Händen halten sie kleine, braune Stücke, die sie breit grinsend in ihren Mund schieben.
Das Mädchen zuckt ungeduldig.
Die Männer steigen ein. Sie sind groß, größer als ihr Vater und haben helle Haut.
Das Fahrzeug setzt sich in Bewegung, einige der Kinder laufen etwas mit, bleiben dann aber doch zurück.
Die Augen der Soldaten machen dem Mädchen Angst. Sie sind hell und durchdringend.
Sie weichte etwas zurück, zieht ihre dünnen Beine ein.
Irgendwo raucht jemand und dann verdeckt eine große Gestalt die Sonne über ihr.
Sie blinzelt. Das Fahrzeug stoppt.
Jemand schreit, mehrer Soldaten rennen nach vorne. Waffen werden entsichert und Mündungen reichten sich auf braune Augen.
Sie starrt bewegungslos auf den Mann, nur wenige Meter entfernt. Er zittert und dunkle Schweißflecken zeichnen sich auf seinem Rücken ab.
Wieder Schreie. Einige in Paschtu, andere in einer ihr unbekannten Sprache. Es klingt komisch.
Der Mann rührt sich nicht.
Das Mädchen steht langsam auf, drückt sich dichter an die Wand.
Die Schreie werden lauter, irgendwo bellt ein Hund und dann erhebt sich einer der Soldaten im Fahrzeug. Er gestikuliert wild mit seinen Händen. Schreit. Deutet und Schreit.
Mehr Waffen erheben sich und wieder drückte sie jemand gegen die Wand. Dieses Mal ein Soldat. Er stinkt nach Schweiß, sie weicht ängstlich zurück. Mehr Soldaten. Sie schließen einen Kreis um den jungen Mann mit geschlossenen Augen. Er rührt sich nicht, öffnet erst die Augen, als ein Soldat unablässig redend auf ihn zu kommt.
Seine Augen sind schwarz und leer.
Dann hebt er die Hand.
~~o~o~~
9 Monate um ein Leben zu formen. 7 Jahre um ihm eine Zukunft zu geben.
Eine kleine Handbewegung um es wieder zu zerstören. Immer wieder.
Für einen Augenblick ist alles still. Niemand rührt sich, niemand spricht. Es geht schnell, nicht eine Atemzug, nicht ein Wimpernschlag. Nur der tausendste Bruchteil einer Sekunde und die Luft scheint zu explodieren.
Dann Schreie. Jemand kreischt. Flammen lodern, zischen herausfordernd und schießen rasant auf einer Ölspur in die Menge.
Niemand raucht mehr und keines der Kinder isst glückselig seine Schokolade. Keines der Gewänder ist mehr weiß und keine der Frauen steht noch teilnahmslos.
Sand wirbelt durch die Luft, dicke Rauschschwaden verdecken die spöttische Sonne. Wieder Schreie. Verschiedene Sprachen, jeder redet. Niemand hört zu.
Der Mann. Verschwunden. Verhalt sein letztes Stoßgebet, verloren sein Glaube, kein Gedanke mehr zu Denken, nur noch Nichts.
Das Mädchen. Verschwunden. Ihre Augen geblendet, ihre Körper reglos, die Glätte ihre jungen Haut vergangen, ihre Zukunft verbrannt und unerkenntlich, als hätte es sie nie gegeben.
Auf den Boden prallt ein Reifen hart auf und langsam neigt sich das Militärfahrzeug zur Seite, fällt krachend zu Boden. Stahl verbiegt sich und kreischt erbärmlich unter enormem Druck. Es ist verkohl, immer noch züngeln beißende Flammen um das schwarze Gerippe. Flaggen sind verbrannt, Soldaten verloren, Sprachen verstummt und Glaube nutzlos.
Nur das, ins Metall eingeritzte Wort ist noch lesbar:
Peace
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