von Eva Mossal
Sie schritt durch den langen Gang. Ewig schon war es her, dass sie dies getan hatte. Dieser Gang, mit dem sie so viele Erinnerungen verband. Dieser Gang, der ihr soviel Unglück gebracht hatte. Dieser Gang, in dem ihr vor genau sieben Jahren ein Teil ihres Lebens gestohlen wurde.
Sie hatte es vor Augen als wäre es gestern gewesen… Der Tag, an dem ein wirklich wichtiger Mensch in ihrem Leben ebensolches zerstört hatte. Während sie zaghaft einen Schritt vorwärts tat, spürte sie einen zarten Windhauch, der fast schon spielerisch an ihren Haaren neckte, über ihren Körper glitt, ihr dünnes schwarzes Seidenkleid um ihre Beine wehen ließ. Sie blieb abrupt stehen, schaute ein wenig nach rechts und strich fast schon liebevoll über die kleine Statue, die sich, seit sie denken konnte, an diesem Platz befand. Sie schloss die Augen. Fühlte die filigranen Formen und die angenehme Kälte der Bronzefigur. Ich darf nicht länger stehen bleiben, schoss es ihr durch den Kopf. Mit geschlossenen Augen ging sie weiter. Schloss ihre Hand fester um das, was sie in Händen hielt. Das, was ihr endlich Erlösung von all den Schmerzen bringen würde, Erlösung von all den Albträumen und quälenden Gedanken. Heute würde sie es jäh beenden und damit einen Akzent in die so trostlose Welt setzen. Während sie stetig weiterschritt führte sie das lange Messer vor ihre vollen Brüste. Fast schon zärtlich glitt der Zeigefinger ihrer linken Hand über die kalte Klinge. Sie spürte, wie ein dünner Fluss aus Blut ihre Hand hinab rann. Jetzt endlich spürte sie, dass sie Macht über sich hatte, dass sie ihr Leben endlich selbst in der Hand hatte. Und sie wusste genau, was sie wollte. Langsam öffnete sie ihre Augen. Der Gang schien endlos zu sein, doch das störte sie recht wenig, denn sie war sich sicher, dass ihr eigener Weg endlich war. Ja, sie würde selbst den Zeitpunkt wählen, an dem sie keinen Schritt mehr tun müsste. Das Licht der Kerzen schimmerte und spiegelte sich auf dem blanken Stahl der Klinge in ihrer Hand. Schmerzlich schön, dachte sie, genau wie ich. Edel und erhaben, wunderschön, doch zugleich so zerbrechlich wirkend und so kalt wie meine Seele. Ihr Puls blieb ruhig, sie atmete langsam und tief. Genoss den Geruch des geschmolzenen Wachses, der in ihre Nase kroch. Harmonie, schoss es ihr durch den Kopf. Harmonie und Stille… Stille… Stille… Kein Laut drang aus ihrer Kehle als sich das Messer durch ihre zarte Haut in ihre Brust bohrte. Tapferes Mädchen, wunderschönes Mädchen, verlorenes Mädchen… Sie sank erhobenen Hauptes in die Knie und schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, ihr wüchsen Flügel. Sie fühlte sich leicht und frei, so als ob sie jeden Moment fliegen könnte. Wegfliegen von dieser menschlichen Hülle, die letztendlich doch so wenig wert war und ihr nur als Gefängnis diente. Mit einem Lächeln auf den Lippen tat sie ihren letzten Atemzug. Freiheit. Und Stille… Stille… Stille…
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