von Melanie Behrend

„Sieben mal atmete er noch bebend und mit jedem einzelnen dieser Atemzüge spürte er, wie sein Leben erlosch. Es war, als ob er seinen Lebenshauch ausatmete, sieben schmerzhafte Male seine Lungenflügel noch in Hoffnung zusammenpresste und schließlich sein Ende fand.”

Es herrschte eine angespannte Stille im Raum. Neun Augenpaare starrten Sebastian mit weit aufgerissenen Augen an. Ihre kleinen Herzen pochten schnell und laut, während ihr Atmen immer flacher wurde, weil sie Angst hatten, dass es ihnen so wie in der Geschichte ergeht.

„Sebastian! Ich habe dir doch gesagt, dass du den Kindern nicht so was erzählen sollst. Sie bekommen nur Albträume!” Seine Ehefrau betrat den Raum, ihre Stirn in Falten gelegt, was ihre seltsame Angewohnheit war, wenn sie mal wieder Sebastian belehrte.

„Das ist eine Pyjamaparty. Du willst mir doch nicht erzählen, dass ich ihnen da vom Märchenbuch etwas vorlesen soll?!”

Sebastians Ehefrau wollte die Party nicht durch einen Streit unterbrechen. Also löste sie ihren Mann ab und kümmerte sich um die Kinder. Als sie sich sicher sein konnte, dass alle Kinder schliefen, suchte sie Sebastian, um ihre immer wiederkehrende Diskussion auszufechten.

„Warum erzählst du den Kindern solche Geschichten? „Sieben Atemzüge”, „Sieben Tage bis zum Tod” und so ein Unsinn? Sie bekommen nur Angst und außerdem werden sie später noch paranoid wenn sie nur die Zahl sieben sehen!”

„Komm, die meisten Wörter in meinen Geschichten verstehen sie sowieso nicht – und wenn ich sie damit von dem abergläubischen Quatsch abbringen kann, dann soll es mir Recht sein.”

Seine Frau seufzte: „Das sagst du jedes Mal, aber was ist dagegen einzuwenden, dass die Kinder an etwas Gutes glauben wie eine Glückszahl?”

„Eine Glückszahl?! Es gibt da auch das Gegenstück, zum Beispiel die 13!”

„Ich weiß nicht, wieso du solch eine Angst davor hast, dass sie abergläubisch werden. Rede endlich mit mir, Sebastian, ich bin doch deine Frau!” Ihre Worte klangen verzweifelt, denn es war nicht das erste Mal, dass sie versucht hatte den Grund herauszubekommen.

Sebastian zögerte sichtlich und doch merkte er, dass er seine Frau verlieren würde, wenn er sie immer anschwieg. „Meine Großeltern sind an einem Freitag den 13. bei einem Unfall gestorben. Sie waren zwar schon sehr alt, aber mein Vater sah ihren Tod an diesem Tag als Zeichen, den Aberglauben ernst zu nehmen. Er verkroch sich immer mehr in seinem Zimmer, um Horoskope auseinander zu nehmen und auf Zeichen zu warten, was als nächstes passieren könnte. Er legte jede alltägliche Lappalie als ein Symbol für etwas aus und hüllte sich schließlich in einen Mantel aus Angst. Denn er empfand das meiste als bedrohlich und die Vorhersagungen in den Horoskopen sind so allgemein, dass man sie auf alles anwenden kann. Er fühlte sich also bestätigt. Ich verlor meinen Vater noch bevor er gestorben war. Diese Zeit war einfach unerträglich, denn er war nicht tot und doch ungreifbar für mich. Es ist schon schwer um eine Person zu trauern, die noch lebt.”

Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Aber weißt du, ich habe versucht ihm alles zu erklären! Woher die Aberglauben kommen, weshalb sie nicht stimmen können – einfach alles! Doch er hörte nicht auf mich, ich war nur ein Teil seines Symbolenpuzzles. Dabei gibt es doch einige Kinder, die am Freitag den 13. geboren werden und sie sind doch dann nicht automatisch böse! Dabei sterben doch nicht einmal mehr Menschen an jenem Tag als sonst. Was wäre dann an einem 13. Juli? Das ist ein Datum, das sowohl Glücks- als auch Pechzahl enthält. Ich konnte ihn einfach nicht davon abbringen.”

Seine Frau schaute ihn mitfühlend an und umarmte ihn für einige Minuten herzlich. Als sie sich wieder lösten, gab auch sie ihre Meinung hinzu: „Wieso hast du mir das nie erzählt, Sebastian? Wir sind doch verheiratet; dann hätte ich besser verstehen können! Aber weißt du, du kannst die Zeit nicht zurückdrehen oder das Gegenteil erzeugen, wenn du alles auf den Kopf stellst. Es wird sich nichts ändern, wenn du den Kindern Gruselgeschichten am Siebten vorliest und ihnen Lollis am Dreizehnten gibst.”

„Und ob ich das kann!”, schrie Sebastian sie fast an.

Vollkommen fassungslos und mit Tränen in den Augen verließ sie den Raum.

Sebastian starrte währenddessen wie gebannt aus dem Fenster, einfach weil er sie nicht ansehen wollte. Er verharrte einige Zeit so und ließ dann seinen Blick wieder wandern. Vor ihm auf dem Fensterbrett stand ein Blumentopf voll von vierblättrigen Kleeblättern. Ihre Erde war ein wenig vertrocknet. Gut so, denn Sebastian hatte ihnen seit ihrer Ankunft in seiner Wohnung den Krieg erklärt. Ein nahezu triumphierendes Grinsen legte sich auf seine Lippen, doch mitten in der Bewegung stockte er. Denn als er die vierblättrigen Kleeblätter betrachtete und an die Worte seiner Frau dachte, sah er zum ersten Mal, dass die Pflanze doch nur eine Pflanze war und nahm ein Glas Wasser um sie zu gießen.


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