oder

die Besucher

von Andreas Dresen

1. Tag

Er erschrak als er das Krachen und Splittern zu seinen Füßen hörte. Er sprang einen Schritt zurück und blickte hinab. Sowohl der Boden wie auch seine Füße waren unversehrt. Nichts deutete auf den Ursprung des Krachs hin. Er ging in die Knie und blickte zuerst unter den Tisch und dann unter die Spüle und den Herd. Doch außer einigen Staubbällen und Unmengen von Krümeln fand er nichts. Also entschied er, dass er sich verhört haben müsse. Vielleicht war das Geräusch ja auch von draußen gekommen. Ein Blick aus dem Fenster offenbarte ihm außer der nächtlichen Straße keine Besonderheiten. Er blickte zum Himmel und sah nichts außer den Sternen und der unendlichen Weite des Alls. Alles war ruhig und verlassen. Der Schrecken hatte ihn durstig gemacht. Er griff sich ein Glas aus dem Schrank und eine Flasche aus dem Kühlschrank. Doch als er die Flasche öffnen wollte, entglitt sie seinen Fingern und schlug geräuschlos auf dem Boden auf und zerbrach. Kein Splittern, kein Krachen ertönte, so als hätte jemand in einem Film den Ton abgestellt. Oder als ob das Geräusch seinem Ursprung ein paar Minuten in der Zeit voraus wäre.

Irritiert schrieb er dies alles seiner Müdigkeit und seiner Aufregung zu. Es war spät geworden und er konnte nicht schlafen. Am nächsten Morgen war er mit ihr verabredet. Endlich hatte er Erfolg gehabt. Er sollte ausgeschlafen sein, dachte er sich, wenn er mit der zukünftigen Liebe seines Lebens zum ersten Frühstück verabredet war. Doch vor Aufregung konnte er nicht schlafen und drehte weiter seine Runden durch die nächtliche Wohnung. Dann schaute er in die Zeitung; im Fernsehen lief seit einer Stunde „Cosmic Contaction”. Der Fernsehsender würde ein Feature über Außerirdische zeitgleich zur Fernsehübertragung ins Weltall senden. Interessiert und auf der Suche nach Ablenkung schaltete er den Fernseher ein.

2. Tag

Es waren nur wenige Fußminuten bis zu ihrer Wohnung. Die Nacht war einem strahlenden Morgen gewichen, und der Himmel wölbte sich blau über den Straßen des Viertels. Er war rechtzeitig aufgestanden und hatte leicht verknautscht in den Spiegel geschaut. Dann hatte er müde aber glücklich geduscht und rechtzeitig das Haus verlassen, um den kleinen Umweg zum Blumenladen gemütlich machen zu können. Als er das Haus verließ, zeigt seine Funkuhr am Handgelenk kurz nach Neun an. Knapp eine Stunde Zeit, durch das Viertel zu schlendern, dachte er bei sich.

Pünktlich stand er mit Brötchen und Blumen vor ihrer Haustüre und klingelte. Er war aufgeregt. Kein Wunder, dachte er sich, schließlich war dies das erste Date mit seiner direkten Vorgesetzten.

Als diese die Haustüre öffnete, sah er ihr bereits an, dass etwas nicht stimmte.

„Tauchen Sie auch schon hier auf?”, fragte sie in gereiztem Ton. Plötzlich schien sich ein Klumpen Eis durch die Brust zu drängen. Vor wenigen Tagen waren sie erst zum vertraulichen Du übergegangen. Und nun diese Ansprache?

„Wissen Sie, wie spät es ist?”

„Es ist zehn Uhr!”, haspelte er. Zur Unterstützung blickte er dabei auf seine Funkuhr.

„Oh!”, entfuhr es ihm.

„Oh!”, bestätigte sie ihm.

Die Zeiger seiner Funkuhr zeigten unschuldig auf die Zwölf.

3. Tag

Immer und immer wieder spielte sich die Szene vor seinem inneren Auge ab, als er am nächsten Morgen auf dem Balkon seiner kleinen Wohnung stand. Er hatte zwar versucht die ganze Nacht zu trinken, um den Schmerz und das Schamgefühl zu unterdrücken, doch war ihm dies nur bis zu einem gewissen Grad gelungen. Irgendwann war er einfach im Sessel eingeschlafen, die zwei leeren Weinflaschen zu seinen Füßen. Und so stand er mit einem klaren Kopf auf dem Balkon und betrachtete den klaren blauen Himmel. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er die zwei fehlenden Stunden verbracht hatte. War seine Uhr defekt? Er hatte sie den Rest des Tages zum Teil über Stunden betrachtet, konnte aber an ihrer Regelmäßigkeit keinen Fehler entdecken. Nun zweifelte er an seinem Verstand. Vielleicht wäre es sowieso das Beste, jetzt schon Schluss zu machen, dachte er. Die Liebesgeschichte war aus, bevor sie begonnen hatte. Und er wusste nicht warum. Auf der Arbeit konnte er sich nicht mehr blicken lassen. Er wurde langsam verrückt, hörte Dinge, die nicht da waren und vergaß ganze Stunden. Wie sollte er weitermachen? „Gott”, rief er in Gedanken, „bist Du da?” Verzweifelt hob er den Blick zum Himmel, der in ihn in seinem strahlenden Blau zu verhöhnen schien. Doch alles blieb still.

Erschöpft ließ er sich auf den Boden sinken. Dann erklang ein Rauschen vom Himmel. Es klang wie Flugzeuge und Gewitter gleichzeitig. Der Himmel blieb jedoch blau, keine Wolke zeigte sich. Nur an einigen Stellen schien der Himmel blauer zu sein, dunkler, als an anderen Stellen. Kurz darauf schon legte der Himmel sich in Falten, schien am einen Ende zu knittern, am anderen Ende Fäden zu ziehen, die sich über den Himmel streckten. Dann kam Bewegung in die Sache und die Streifen verdichteten sich zu einer Spirale, die in ein kleines schwarzes Loch mündeten. Diese schwarze Stelle im Himmel wurde größer, wurde dichter und plötzlich erschienen oben am Himmel die Besucher.

4. Tag

In der vergangenen Nacht hatte wohl keiner geschlafen. Nicht in dieser Stadt, noch sonst irgendwo auf dem Planeten. Inzwischen traute er sich wieder auf den Balkon hinaus. Wie ein großer Rochen schwebte der Besucher über der Stadt. Jeder konnte ihn sehen. Er hing über der Stadt, fast bewegungslos, und schien der Schwerkraft zu trotzen. Nur sein Schweif pendelte leicht in den Luftströmungen und schien die Böen auszugleichen. Seine flügelartigen Ränder rollten sich in leichten Wellen vor und zurück, gerade so, als schwimme er auf der heißen, aufsteigenden Luft der Stadt. Sein massiger Körper tauchte die Häuser und Straßen in einen sommerlichen Halbschatten, wie es sonst nur Gewitterwolken können, die von der Sonne angestrahlt werden.

Sein Bauch hatte das Weiß eines Hais, oder einer Maus. Weiß und ledrig, mit braunen Schlieren, die vom Alter und der Zeit zeugten, die der Besucher hinter sich haben musste. Die Stadt war wie erstarrt. Kaum einer hatte die Stadt verlassen, da keiner den Mut fand, vor die Türe zu gehen. Die Straßen waren wie ausgestorben. Doch von seinem Balkon konnte er sehen, dass in allen Wohnungen der Fernseher lief, in dem auf allen Kanälen Bilder der Besucher gezeigt wurden. Die Besucher hatten sich auf der ganzen Welt verteilt und willkürlich niedergelassen. Über großen Städten, über offenem Land und auf dem Meer. Und alle schwebten nur bewegungslos in der Luft.

Nachdem er nun den ersten Schrecken verdaut hatte, verbrachte er den Rest des Tages damit, ein paar Sachen zu packen, die er im Notfall mitnehmen musste, wenn er fliehen wollte. Dann wartete er auf die Nachrichten im Fernsehen. In den Abendnachrichten wurde ein Live-Interview mit den wichtigsten Astrophysikern gezeigt. Anhand von animierten Grafiken erläuterten Sie die Vorgänge der vergangenen Tage. Die Besucher waren in der Lage, Raum und Zeit zu krümmen. Daher konnten sie große Entfernungen in einer kurzen Zeitspanne zurücklegen. Dazu legten sie eine Art Zeittunnel durch den Raum, der es ihnen ermöglichte eine Abkürzung durch das Universum zu nehmen. Somit hatte kein Teleskop und kein Frühwarnsystem irgendetwas bemerkt und die Menschheit hatte die Besucher nicht kommen sehen. Aber nun waren sie da. Es folgten Beiträge mit Politikern, die die verschiedensten Meinungen zu den Absichten der Besucher kundtaten, sowie eine breitgefächerte Batterie an Möglichkeiten, wie ihnen zu begegnen sei. Da die Besucher selbst bisher keine Anstalten gemacht hatten, Kontakt aufzunehmen, wurde von einem militärischen Präventivschlag Abstand genommen.

Ein erster Versuch für einen friedlichen Versuch wurde für den nächsten Tag angekündigt.

5. Tag

Er hatte den Fernseher so gedreht, dass er gleichzeitig die Sondersendungen der Fernsehsender sehen konnte, ohne dabei den Besucher aus den Augen lassen zu müssen. Irgendwie fühlte er sich unwohl, wenn er ihm den Rücken zudrehte. Und das Gefühl beobachtet zu werden, ließ ihn seit Tagen nicht mehr los.

Er fragte sich, ob es wohl auch anderen so ginge. „Ein Versuch ist es wert”, dachte er sich. „Vielleicht hat sie ja angesichts der aktuellen Ereignisse andere Sorgen, als auf mich sauer zu sein.”

Er wählte ihre Nummer, behielt aber den Besucher im Auge. Als er ihre Stimme hörte, sackte ihm das Herz in die Hose. Er bekam keinen Ton heraus. Dann sah er den Besucher und dachte sich, wenn die Welt schon untergeht, dann sollte man wenigstens alles versucht haben.

Also räusperte er sich und begrüßte sie.

Das Tuten in der Leitung untermalte die Erkenntnis, dass es bei einem Versuch bleiben würde.

Im Fernsehen flimmerte inzwischen die Sondersendung der Kontaktaufnahme. Die Wissenschaftler hatten „seinen” Besucher ausgewählt, um mit ihnen in Kontakt zu treten. So konnte er gleichzeitig im Fernsehen und im Fenster verfolgen, was passieren sollte.

Ein Hubschrauber, eskortiert von Jagdbombern, stieg hinauf und blieb vor der Spitze des massigen Körpers in der Luft stehen.

In einer Nahaufnahme, gefilmt von einem zweiten Hubschrauber, konnte er erkennen, wie die Seitentüre geöffnet wurde und die Besatzung begann verschiedene Arten der Kommunikation zu erproben. Zuerst wurde der Besucher über Lautsprecher in allen Sprachen der Erde angesprochen. Dann erschienen auf einem Display verschiedene Zeichencodes, binäre, hexadezimale und farblich gestaffelte.

Daraufhin wurden Bilder gezeigt, später Filmsequenzen. Schließlich ging man über zu Musik und Mozart, bis man schließlich mit Walgesängen den Vortrag schloss.

Der Besucher blieb still und regungslos. Der Kontaktversuch wurde wegen des aufkommenden schlechten Wetters abgebrochen.

Schließlich zogen Regenwolken auf und begannen den seit Tagen sonnigen Horizont zu verdunkeln. Als die erste Wolke den Besucher erreichte, öffnete sich auf der Unterseite des Körpers ein riesiges Maul, wie ein eingerissenes Loch. Dann begann der Besucher die Wolke aufzunehmen, ja er schien sie förmlich einzuatmen. In der Stadt brach Panik aus. Minuten lang hörte er die Schreie der Menschen, die überstützt die Fenster schlossen, in die Keller rannten oder mit den Autos die Stadt verließen.

Doch vom Besucher kam weiter nichts. Einzig das Gewitter wütete über der Stadt und hüllte den Besucher in eine Schicht aus Wolkentürmen, Blitzen und Donner.

6. Tag

Den Fernseher hatte er seit Tagen nicht mehr ausgemacht. Nun saß er gebannt vor der Scheibe und schaute auf die neuesten Nachrichten. Nach „Cosmic Contaction” hatte er den Kanal nicht mehr gewechselt. Und nun sah er, wie ein wütender Mob das Sendergelände des Kanals stürmte und dabei live von den Reportern der Anstalt gefilmt wurde. Diese Menschen filmten ihren eigenen Untergang und zogen sich dabei immer weiter in die oberen Etagen des Senders zurück. Die Menschen waren zu dem Schluss gekommen, dass „Cosmic Contaction” die Besucher gerufen hatte. Der Zusammenhang des Erscheinens der Fremden mit der Ausstrahlung ins All schien zu offensichtlich.

Schon brannte das untere Stockwerk. Die Polizei war zwar erschienen, schien jedoch nicht in der Lage oder nicht willens zu sein den Mob aufzuhalten.

Nachdem zuerst das Testbild erschien und dann auch noch dieses ausfiel, schaltete er den Fernseher ab und schaute aus dem Fenster. Dann stand er auf und lehnte sich gegen die Scheibe, um den stillen Besucher zu betrachten. Der hatte das Maul wieder geschlossen und hing einfach regungslos über der Stadt. Als er sich abwandte, merkte er, dass seine Hand an der Scheibe klebte. Er sah auf seine Finger, die rot verkrustet waren und auf eine Wunde, aus der immer noch ein wenig Blut quoll.

„Au”, dachte er sich. „Da werde ich mich wohl beim Kochen gleich noch schneiden.”

Und war erstaunt darüber, wie leicht der Mensch sich an Wunder gewöhnen konnte. Die Bedeutung der Verletzung erkannte er jedoch nicht.

7. Tag

Er erwachte vor dem Fernseher. Eine Woche war seit dem ersten Auftreten der Zeit und Raumkrümmungen vergangen. Eine Woche also, seitdem die ersten Signale der Besucher auf der Erde empfangen und erlebt wurden.

Und trotzdem wussten sie nichts über die Fremden. Sie waren da und keiner wusste, ob sie eine Bedrohung waren, oder ein Segen. Würde die Erde, würde die Menschheit vernichtet werden? Oder brachten sie der Menschheit den ersehnten Schritt ins Weltall? Kein Zweifel, dies war der erste Kontakt, aber so hätte ihn sich wohl keiner vorgestellt. Fast hatte man den Anschein, sie wollten sich nur ein wenig umsehen, so wie Kinder einen Ameisenhaufen betrachten. Nur eins war sicher: Das Leben auf der Erde würde nach dieser Erfahrung wohl nie mehr so sein wie vorher. Dies war wohl der gewaltigste Einschnitt in der Geschichte der Menschheit.

Er ging in die Küche, um etwas zu trinken.

Er erschrak als er das Krachen und Splittern zu seinen Füßen hörte. Er sprang einen Schritt zurück und blickte hinab. Sowohl der Boden wie auch seine Füße waren unversehrt. Nichts deutete auf den Ursprung des Krachs hin.

Er ging in die Knie und blickte zuerst unter den Tisch und dann unter die Spüle und den Herd. Doch außer einigen Staubbällen und Unmengen von Krümeln fand er nichts. Also entschied er, dass er sich verhört haben müsse. Vielleicht war das Geräusch ja auch von draußen gekommen. Ein Blick aus dem Fenster offenbarte ihm außer der nächtlichen Straße keine Besonderheiten. Er blickte zum Himmel und sah nichts außer den Sternen und der Unendlichen Weite des Alls. Alles war ruhig und verlassen. Der Schrecken hatte ihn durstig gemacht. Er griff sich ein Glas aus dem Schrank und eine Flasche aus dem Kühlschrank. Doch als er die Flasche öffnen wollte, entglitt sie seinen Fingern und schlug geräuschlos auf dem Boden auf und zerbrach. Kein Splittern, kein Krachen ertönte, so als hätte jemand in einem Film den Ton abgestellt. Oder als ob das Geräusch seinem Ursprung ein paar Minuten in der Zeit voraus wäre.

Irritiert schrieb er dies alles seiner Müdigkeit und seiner Aufregung zu. Es war spät geworden und er konnte nicht schlafen. Am nächsten Morgen war er mit ihr verabredet. Endlich hatte er Erfolg gehabt. Er sollte ausgeschlafen sein, dachte er sich, wenn er mit der zukünftigen Liebe seines Lebens zum ersten Frühstück verabredet war. Doch vor Aufregung konnte er nicht schlafen und drehte weiter seine Runden durch die nächtliche Wohnung. Dann schaute er in die Zeitung; im Fernsehen lief seit einer Stunde „Cosmic Contaction”. Der Fernsehsender würde ein Feature über Außerirdische zeitgleich zur Fernsehübertragung ins Weltall senden. Interessiert und auf der Suche nach Ablenkung schaltete er den Fernseher ein.


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