von Anna-Lena Schlüter

Schon als Gunnar ein kleines Kind war, spielte die Zahl Sieben eine große Rolle in seinem Leben. Von seinem Geburtsdatum dem 27.07.1977 ganz abgesehen. In der siebten Klasse blieb er ein Mal sitzen und sein bester Freund war Sieben, als er nach Amerika zog. Seine Eltern waren sieben Jahre lang verheiratet, als sie sich scheiden ließen. Er hatte noch keine feste Freundin gehabt, war aber schon sieben Mal verliebt. Seine Lieblingsserie „Tommy and the seven Spooky Pumpkins” lief immer sonntags um sieben Uhr, und auf jeder seiner Geburtstagsfeiern waren immer sieben Gäste. Man könnte jetzt sagen, Gunnar hatte einfach nicht mehr als sieben Freunde, doch Gunnar selbst hat sich längst mit dem Gedanken angefreundet, dass die Zahl Sieben und er wohl zusammen gehören mussten.

Nun kam es so, dass Gunnar sich an seinem 17. Geburtstag von seinen sieben Gästen und seiner Mutter verabschiedete und wegfuhr. Das war eigentlich nicht seine Art, doch an diesem denkwürdigen Tag geschah etwas Seltsames: Am Morgen seines 17. Geburtstages weckte ihn seine Mutter mit einem siebenstrophigen Geburtstagslied (um sieben Uhr, da sie Frühschicht hatte). Danach ging Gunnar duschen, zog sich an und frühstückte. Gerade als er die 70 Euro aus dem Brief seiner Oma nehmen wollte, klingelte das Telefon, was eigentlich nichts Ungewöhnliches sein sollte wenn man Geburtstag hat, was es auch zunächst nicht war. Normalerweise ließ Gunnar das Telefon immer sieben Mal klingeln, also las Gunnar die Karte zu Ende. 3. Klingeln: Gunnar legte den Brief samt Geldschein auf den Küchentisch. 4. Klingeln: Gunnar wartete auf das 5. Klingeln. 5. Klingeln: Ein Windstoß ließ den Brief zu Boden fallen. 6. Klingeln: Gunnar überlegte, ob er es wohl schaffen würde, den Brief vor dem 7. Klingeln aufzuheben. Er hob ihn auf und legte ihn auf den Tisch. 7. Klingeln: Er eilte zum Hörer. 8. Klingeln: Er erreichte den Hörer und war wütend, er verkniff sich ein Schluchzen und nahm ab.

„Gunnar hier”, er konnte sich den wütenden Unterton in seiner Stimme nicht verkneifen. „Gunnar? Ich habe eine freudige Nachricht für Sie!” Die Stimme am Telefon klang ganz aufgeregt. „Ach ja?”, Gunnar war geistig abwesend. Er dachte über den Windstoß nach, der ihn daran gehindert hatte, den Hörer nach dem 7. Klingeln abzunehmen. „Sie sind Kunde bei Happy Seven nicht wahr?” Was für eine doofe Frage, dachte sich Gunnar. Sieben Mal die Woche ging er dort essen. „Ja, warum?”, fragte Gunnar sichtlich genervt. „Halten Sie sich fest, mein lieber Gunnar!” Die Worte des Mannes dröhnten aus dem Hörer. Gunnar wollte auflegen und sich weiter seiner Geburtstagspost widmen, doch weil es nicht seine Art war, einfach so aufzulegen beschloss er sein Auflegen vorher anzukündigen. „Ich werde jetzt…” Der Mann am Telefon fiel ihm ins Wort. „Sie sind der glückliche Gewinner von… einer Reise nach Amerika im Wert von 8000 Euro!” Nun war es still. Gunnar stand im Flur, Mund offen, den Hörer fest an sein Ohr gepresst, im Glauben das Alles sei ein Telefonstreich. Der Mann am Telefon wartete wahrscheinlich auf eine Reaktion von ihm. „Na hoffentlich sind sie jetzt nicht Ohnmächtig!” Der Mann am Telefon lachte gekünstelt. Gunnar ließ auch ein „Haha!” hören um ihm zu zeigen, dass dies nicht der Fall war. Immer noch ungläubig, hakte er nach: „Und warum habe ICH gewonnen?” „Nun ja, Happy Seven feiert 80-jähriges Bestehen. Seit 8:00 rufen wir bei allen Stammkunden an und wer beim achten Klingeln abnimmt hat gewonnen. Wahrscheinlich ist es ihnen selber gar nicht aufgefallen, doch Sie nahmen nach dem 8. Klingeln ab!”

Als Gunnar wieder an seinem Tisch saß, war er geschockt. Nicht wegen der Reise, nein. Die Tatsache, dass die Sieben ihn verlassen hatte, machte ihm zu schaffen. Gunnar merkte wie Tränen über seine Wange rollten. Er wollte sie wegwischen, doch vorher zählte er sie nach 6,… 7, …8! Gunnar schlug mit der Hand auf den Tisch. Er konnte sich nicht wirklich über die Amerikareise freuen, darum beschloss Gunnar einkaufen zu gehen, das würde ihn ablenken.

Dass er 8 Minuten bis zum Einkaufszentrum brauchte, beunruhigte ihn. Hinzu kam, dass es, als er dort ankam, geschlossen hatte und erst am nächsten Tag um 8 Uhr wieder öffnen würde. Er beschloss das Haus für seine kleine Feier fertig zu machen, doch als er zu Hause ankam, fand er seinen Haustürschlüssel nicht. Gunnar stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. Er hetzte zurück und ging den Weg noch mal sorgfältig ab. Nebenbei zählte er die Passanten, die ihm entgegen kamen. 6… 7… 8. Verdammt! Es war 18:08 Uhr, als er sich erschöpft neben der Haustür niederließ. Noch knapp zwei Stunden, bis seine 7 Gäste kommen würden. Hatte ihn etwa mit der 7 auch sein Glück verlassen? Gunnar fuhr sich durch die Haare. Nun fing es auch noch an zu regnen. Verzweifelt vergrub Gunnar seinen Kopf in seinen Händen.

Wenn man Gunnars Geschichte kennt, denkt man vielleicht, er glaubt ans Schicksal, doch das einzige, woran Gunnar glaubte, war die Sieben. Gunnar seufzte laut auf und dachte darüber nach, was er wohl falsch gemacht haben könnte, als er einen älteren Herrn bemerkte, der ihn wohl beobachtet haben musste. „Na, was bringt dich denn so zum Verzweifeln, mein Junge?” Gunnar hatte keine Lust ihm zu antworten. Er hatte keine Lust ihm von sich und der Sieben zu erzählen, die ihn verlassen hatte, aber er tat es. Ohne wirklich drüber nachzudenken redete er sich all das, was ihn beschäftigte, von der Seele. Und der Mann, man glaubt es kaum, lachte Gunnar weder aus, noch hielt er ihn für verrückt. Der alte Mann lächelte ihm aufmunternd zu und sagte: „Die Sieben begleitete dich treu bis hierher. Vielleicht ist die Acht ein Zeichen für einen neuen Lebensabschnitt. Vielleicht solltest du es so sehen, dass die Sieben ihre Aufgabe an die Acht weitergeben musste.” Gunnar sah den Mann verdutzt an. Das war doch Blödsinn, was der Mann da erzählte. Gunnar und die Sieben waren wie Kirschbaum und Kirschen. Ein Kischbaum mit Äpfeln passte einfach nicht. Der alte Mann schien seine Gedanken lesen zu können. „Ohne die Sieben hättest du nicht gewonnen”, fuhr er fort. „Denn wärst du nicht ohne die Sieben sofort ans Telefon gegangen?” – Gunnar traf das wie ein Schlag ins Gesicht. Von der Seite hatte er das ganze noch gar nicht betrachtet. Er wollte aufstehen und sich bei dem Mann bedanken, da bemerkte er, dass der alte Mann nicht mehr dort stand. Er ging den Bürgersteig auf und ab, konnte ihn aber nicht finden. Stattdessen fand Gunnar den Haustürschlüssel. Beim Haustüröffnen fiel noch eine Karte aus dem Briefschlitz. Sie war von seinem ehemaligen besten Freund, der nach Amerika gezogen war, als er sieben gewesen war. Auf der Karte stand außer den Glückwünschen, dass Gunnar ihn in der nächsten Zeit doch mal besuchen kommen solle. Gunnar setzte sich auf die Treppe und dachte nach, über all die vielen Dinge. Dann fasste er einen Entschluss.

Um 15:08 Uhr verabschiedete sich Gunnar bei seinen sieben Gästen und seiner Mutter, der er erklärte, dass für ihn jetzt ein neuer Lebensabschnitt begann. Er fuhr zu Happy Seven, wo er sich seinen Gewinngutschein abholte und von dort aus ging es dann schnurstracks zum Flughafen. Gunnar flog acht Stunden bis nach Amerika und um acht Uhr holte sein Freund ihn vom Flughafen ab.

Heute ist Gunnar 30 und wohnt in L.A., in einem zweistöckigen Haus mit der Hausnummer 5. Er hat drei Kinder und eine Frau. Morgens steht er um 7 Uhr auf und fährt 10 Minuten zur Arbeit. Neun Mal im Jahr fliegt Gunnar mit seiner Familie nach Deutschland, um seine Mutter zu besuchen.

Wie ihr vielleicht bemerkt habt, macht Gunnar sich nicht mehr viel aus Zahlen. Sei es die Sieben oder die Acht. Er mag sie alle von der Eins bis zur Zehn. Ich selber schließe mich Gunnar an, denn wenn es eins gibt, was ich nicht mag, dann sind es die Qualen mit den Zahlen, und damit ist nicht nur die Mathematik gemeint!


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