von Stephan Schley

sieben mal wollte es nun schon nicht klappen. siebenmaliger misserfolg. das prinzip war einfach: warten bis sie aus der haustür kommt, dann sie ansprechen und mit ihr die hundert meter bis zur schule gehen. sieben minuten vor acht. auch diesmal würde es wohl nichts werden, dachte ben. der erste gong ertönte um fünf vor acht. um punkt acht mußte man am klassenzimmer sein. die zeit wurde knapp. wenn ich länger warte, dachte ben, dann verspäte ich mich. heute erste stunde bei herrn eibe. der versteht keinen spaß bei verspätung: eintrag ins klassenbuch. bei wiederholter verspätung anruf bei den eltern.

ben kannte das mädchen nur vom sehen. sie ging eine stufe über ihm in die achte klasse. er war vierzehn. und sie musste wohl fünfzehn oder sechzehn sein. oder schon siebzehn? sie sah schon aus wie eine erwachsene frau. ein voll entwickelter busen, breite hüften… sie war groß, so groß wie er, schätzte ben, also einsachtzig. wenn sie hohe schuhe trug, überragte sie ihn. in letzter zeit distanzierte sich ben in den pausen immer häufiger von seinen freunden. streifte allein auf dem pausengelände herum, um sie zu finden. meist entdeckte er sie im foyer. dort stand sie im kreis mit ihren freundinnen. sie tuschelten, scherzten und lachten. sie warfen einigen sportlichen jungs aus der oberstufe heimliche blicke nach. ben wusste, er hatte in den pausen keine chance, sie auf ihn aufmerksam zu machen, ohne lächerlich zu wirken. es wäre auf ein: “was will der denn?” hinausgelaufen. “süß der kleine; dann geh mal wieder im sandkasten spielen.”

nein, seine einzige chance, sie zu sprechen, neben ihr zu gehen, bestand jetzt – in diesen sieben minuten vor schulbeginn. bens schulweg dauerte, wenn er nicht bei ihr anhielt, sieben minuten. sie wohnte nur hundert meter von der schule entfernt, noch nichtmal. und sie brauchte wohl nur eine minute, um von ihrem zuhause aus ins schulgebäude zu schlüpfen. ben ließ die andern schulkinder an sich vorbeiziehen und wartete in geeigneter entfernung vor ihrem haus. wenn sie hinauskäme, würde er wie zufällig an ihrer seite auftauchen. und er würde sie ansprechen. das hatte er sich fest vorgenommen. wenn die gelegenheit da wäre, würde er nicht zögern. das wusste ben. sie kam nicht. die andern schulkinder waren schon auf dem schulgelände. ein dicker kleiner junge aus der fünf hastete an ihm vorbei. fünf vor. bis hierhin konnte ben den ersten gong hören. es hatte keinen zweck. selbst wenn sie jetzt hinauskäme, hätte sie keine zeit mehr für ihn. müsste sich beeilen, zum unterricht. obwohl sie das nicht nötig hatte. wenn sie zu spät kam, dann setzte sie einfach dieses zuckersüße lächeln auf, schaute dem lehrer mit ihren grünblauen augen direkt bis auf den grund der seele und setzte sich entschuldigend auf ihren platz. wer hätte sie dafür ins klassenbuch eintragen wollen? wer wollte das diesem schönen mädchen übel nehmen? ihre magie wirkte sogar auf weibliche lehrkörper. sieben minuten zu spät, für sie war das kein problem. für ben schon. herr eibe würde ihm die hölle heiß machen, und da konnte er noch so schön mit seinen langen wimpern klimpern, wusste ben.

schweren herzens ging er also los. eins, zwei, drei… er zählte die schritte. er war schon an ihrem haus vorbei, als er hinter sich das klacken von hohen schuhen hörte. ben verlangsamte seinen gang noch weiter. spähte nach hinten: sie war es! er ließ sie ihn einholen. nochmal blickte er kurz nach vorne und räusperte sich den hals frei.

“auch zu spät?”, fragte er wie beiläufig, als sie seine höhe hastig erreichte.

“ja, das passiert mir so oft. es ist, weil ich so nahe an der schule wohne, da unterschätzt man immer die zeit…”

wow, mit soviel worten von ihr hatte ben für den anfang gar nicht gerechnet.

“ich heiße ben”, sagte er.

sie hielt nun an und schaute ihm direkt in die augen. mühelos drang sie ein bis zum grund seiner seele.

“freut mich dich kennenzulernen.” sie verriet ben auch ihren namen (den er längst kannte). “komm, wir müssen uns beeilen, ben.”

als sie durch das schulportal gingen, ertönte gerade der zweite gong. herr eibe würde ihn zur sau machen, selbst für diese eine minute. sie ging zu ihrem klassenzimmer, das in einem andern flügel des gebäudes lag. die erste pause würde ben vielleicht noch mit seinen freunden aus der siebten “im sandkasten spielen”. aber spätestens in der zweiten würde er sie suchen im foyer, sie grüßen und zu ihr hingehen. der anfang war gemacht. ihre tuschel- und kicher-freundinnen kümmerten ihn nun nicht mehr. seine sandkasten-freunde zählten auch nicht. sie und ben. was würde hieraus noch werden, vielleicht eine sieben?


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