von Gregor R. Richter

Es ist schon sieben Nächte her, dass ich meine Liebste das letzte Mal gesehen habe. Wir waren gerade auf dem Weg ins Hotel, um uns einen gemütlichen Abend zu machen. Wir wollten einfach nur noch relaxen und den Abend genießen. Auf dem Weg ins Hotel machten wir noch an einem Tabakladen halt, damit sie sich Zigaretten kaufen konnte. Ich sah, wie sie ins Geschäft ging und ich wartete davor auf der Straße. Zu meinem Bedauern wurde ich von einem Einheimischen angesprochen, der sich mit mir über die Gesetzeslage der Raucher in meinem Land unterhalten wollte. Dadurch war ich abgelenkt und habe den Tabakladen nicht die ganze Zeit im Auge gehabt.

Ich wartete und wartete. Nach cirka zwanzig Minuten, ja, ich habe viel Geduld bewiesen, bin ich in den Tabakladen, konnte meine Liebste aber nicht finden. Nach den Angaben des Verkäufers war auch niemand aufs Klo gegangen, da es in diesem Laden gar keines gab. Sie musste also schon das Geschäft verlassen haben, während ich mich noch mit diesem Mann unterhalten habe.

Selbstverständlich habe ich noch etwa eine Stunde vor dem Tabakladen gewartet. Vielleicht hatte sie nur einen Abstecher in eines der angrenzenden Geschäfte oder Restaurants gemacht. Vielleicht war sie dort aufs Klo gegangen. Vielleicht, dachte ich, und wartete. Ich wartete vergebens. Auch nach einer weiteren geschlagenen Stunde wollte sie nicht auftauchen. Also ging ich logisch weiter vor und fuhr zu unserem Hotel. Zu dem Hotel, in dem wir unser Zimmer gemietet hatten und in dem ich mich noch immer befinde. Es hätte doch sein können, dass sie schon vor gefahren war und jetzt im Hotelzimmer auf mich wartete. Doch leider war dem nicht so. Ich nahm den Schlüssel von der Rezeption und wartete weiter auf dem Zimmer. Ich schaute fern und versuchte mir keine Sorgen zu machen, doch das ging nicht. Nüchtern entschied ich mich dafür, mich hinzulegen und zu versuchen zu schlafen. Das funktionierte mehr schlecht als recht. Mir schossen immer wieder dieselben Fragen durch den Kopf. Wo war meine Liebste? Warum war sie jetzt nicht mit mir hier auf dem Zimmer?

Ich malte mir Schreckensszenarien aus, die mich Nacht für Nacht verfolgten. Bis heute. Vielleicht war sie entführt worden. Aber bis heute habe ich keine Lösegeldforderung bekommen. Es ist auch kein terroristisches Statement veröffentlichet worden.

Am darauf folgenden Tag bin ich zur Polizei gegangen und habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Immer und immer wieder fragte ich mich, was wohl passiert war.

Mittlerweile bin ich sogar von der Theorie, dass sie einen hippen Außerirdischen kennen gelernt hatte und mit ihm in eine andere Galaxis durchgebrannt ist, sehr angetan. Dieses Szenario ist mir zurzeit mindestens so möglich, wie alle anderen, die ich mir sonst noch ausgedacht habe.

Seit sieben Nächten warte ich jetzt schon auf ein Zeichen von ihr. Unser Zimmer kann ich auch nicht mehr verlängern lassen. Das heißt, ich müsste morgen abreisen. Ein weiteres Mal lasse ich den Kopf hängen, als ein Läuten mich aus meiner Verzweiflung reißt. Wie in Trance gehe ich zum Telefonapparat und hebe ab.

„Hallo?”, meldete ich mich und erkannte die Depression in meiner Stimme. Wahrscheinlich war es die Rezeption, die mich an meine Abreise erinnern wollte.

„Hallo Liebling”, sprach ihre liebliche Stimme, die ich seit sieben Nächten nicht mehr gehört hatte und ich wusste nicht, ob ich weinen, lachen oder wütend sein sollte. Eine Träne der Erleichterung kullerte meine Wange hinunter.

Ich musste tief Luft holen, um überhaupt sprechen und Worte formen zu können.

„Wo, verdammt noch Mal bist du?”, fragte ich meine Liebste und war erleichtert ihre Stimme gehört zu haben.

„Ich bin an einem wunderschönen Ort”, sprach sie mit sanfter Stimme. „Und ich bin glücklich hier.” Sie war glücklich dort, klang es in meinem Hinterkopf, als ich ihre Worte in Gedanken wiederholte.

„Wenn du willst, komme ich dich abholen. Wo genau bist du?”, wollte ich wissen.

„Für dich ist es noch nicht an der Zeit, hier bei mir zu sein”, antwortete sie mir, „aber eines Tages wird es so weit sein. Und auf diesen Tag freue ich mich schon. Ich liebe dich.”

Das waren die letzten Worte, die ich von ihr hörte. Dann teilte mir ein Tüten im Telefonhörer mit, dass die Verbindung unterbrochen wurde. Ich ließ die Hand mit dem Hörer auf das Telefon gleiten und stand verloren im Raum herum. Doch noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, klopfte es an der Tür. Wie ein Schlafwandler ging ich zur Tür des Hotelzimmers und öffnete. Ich war nicht sehr erstaunt, als ich zwei uniformierte Polizisten dort stehen sah. Für mich war alles mehr wie ein Traum als die harte Wirklichkeit.

Die beiden Polizisten hatten einen besorgten Gesichtsausdruck aufgelegt, als müssten sie etwas machen, das ihnen sehr unangenehm war. Der älter Aussehende der beiden begann zu sprechen und mein Blick folgte seinen Lippen bei jeder Bewegung. Das Wichtigste hatte ich verstanden.

„Wir haben die von Ihnen vermisste Person gefunden”, war ein Teil der wichtigen Information. „Wir müssen Ihnen mit Bedauern mitteilen, dass wir ihre Leiche gefunden haben. Sie war schon vier Tage tot, als wir sie…„

Danach flossen noch einige Worte und Sätze aus seinem Mund. Etwas von einem Zimmer, in dem sie gefunden wurde, dass sie wahrscheinlich eines nicht natürlichen Todes gestorben war, und etwas von herzlichem Beileid.

Ich bedankte mich bei den Polizisten und ging an das Fenster meines Zimmers. Ich öffnete die Fensterflügel und eine abendliche Brise glitt durch den Raum. Ich atmete tief ein. Dann atmete ich tief aus. Der Blick über die Stadt, im Licht der untergehenden Sonne, war atemberaubend schön.


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